Der Akribische

Wildes Gestikulieren und rumpelstilzchenhaftes Herumhüpfen: Dafür ist Eintracht Braunschweigs Coach Torsten Lieberknecht bekannt. Auch wenn sein Team heute als Tabellenzweiter beim Tabellenführer Hertha BSC Berlin im Olympia-Stadion antritt, wird er wohl kaum ruhig am Spielfeldrand sitzen.

„Es ist das größte Spiel der vergangenen Jahre für uns und für die Eintracht“ sagt der 39-Jährige mit Blick auf die mehr als 40.000 erwarteten Fans, von denen 10.000 aus Braunschweig kommen werden. Man muss es wohl auf sein pfälzerisches Gemüt schieben, dass der akribische Arbeiter so mit Herz bei der Sache ist. Denn angesichts des zehn Punkte Vorsprungs bei noch sieben verbleibenden Partien könnte er sich eigentlich entspannt zurücklehnen.

Doch noch kommt das gefürchtete Wort mit dem „A“ wie Aufstieg nur verhalten über die Lippen, was vielleicht auch auf den Anfang der gemeinsamen Zeit von Trainer und Mannschaft zurückgeht. Nichts habe er von langer Hand geplant, vielmehr sei es vor sechs Jahren darum gegangen, „den Verein für die dritte Liga zu qualifizieren und dem damit verbundenen, oftmals schleichenden Tod von der Schippe zu springen“ sagte er dem Magazin 11 Freunde.

Am letzten Spieltag der Saison 2007/08 rettete Lieberknecht glücklich den zehnten Platz der Regionalliga, der für die Qualifikation zur neu gegründeten Dritten Liga reichte. Zusammen mit Sportdirektor Marc Arnold entwickelte er dann ein Konzept. Der Kader ist in seinen Grundelementen noch immer der vom Anfang, die Transferpolitik ist auf junge Talente ausgerichtet und Spieler müssen vor allem charakterlich zur Philosophie der Verantwortlichen passen.

„Wenn ein Spieler beim ersten Gespräch fragt, wo er in Braunschweig eine Straße wie die ‚Kö‘ findet, könnte es sein, dass er sich in dieser Stadt nicht wohl fühlen wird“, sagt Lieberknecht. Diese gesunde Abneigung gegen das Überkandidelte liegt vielleicht auch in seinem Heimatort begründet: Lieberknecht kommt aus dem Ort Haßloch, der wegen seiner „Durchschnittlichkeit“ als Testmarkt für die Gesellschaft für Konsumforschung dient.

Mittlerweile wohnt der als Spieler in Kaiserslautern groß gewordene und lange Zeit bei Mainz aktive Vater dreier Kinder mit seiner Frau im beschaulichen Groß Schwülper, etwas außerhalb Braunschweigs. Im großen Berlin will Lieberknecht heute „ohne Respekt vor Gegner und Kulisse“ antreten. Um die Meisterschaft geht es ihm allerdings weniger. Sollte Braunschweig „das große Ziel“ Aufstieg erreichen, sei es ohnehin egal, „ob wir am Ende Erster oder Zweiter werden“.  ARNE SCHRADER