Dramaturgien der Bürokratie

DOKUMENTARTHEATER Wenn ein „szenisches Forschungsvorhaben“ das Publikum bis in den Behörden-Dachstuhl treibt: Hans-Werner Kroesingers „Arbeit Macht Glück“ im Bremerhavener Amtsgericht

Zur Arbeit gäbe es viel zu sagen, Franz Kafka allerdings fiele einem vielleicht nicht als erstes ein. Dass er in „Arbeit Macht Glück“ von Regisseur Hans-Werner Kroesinger dennoch den Auftakt macht, lässt auf eine eher assoziative Herangehensweise schließen. Davor steht natürlich erstmal der Titel, der an nationalsozialistische Parolen denken lässt, denen zufolge Arbeit angeblich frei mache. Und nun also Glück? Oder ist das ein Missverständnis, und eigentlich geht’s doch um den Dreiklang Arbeit, Macht und Glück?

Kroesinger schlägt mit seinem neuen Stück, das jetzt im Bremerhavener Amtsgericht Uraufführung hatte, einen weiten Bogen. Von Kafka geht es weiter über den Terroranschlag auf das Linienschiff „Mosel“ und den Prozess gegen einen mutmaßlichen Plünderer im Zweiten Weltkrieg, die Geschichte von Melvilles Arbeitsverweigerer Bartleby über Schillers „Glocke“, Michel Foucault, die Erinnerungen einer ukrainischen Zwangsarbeiterin und Beiträgen des Produktionsteams bis hin zur Sisyphos-Saga in der Fassung von Heiner Müller: alles vorgetragen auf einer Wendeltreppe, die in die höchsten Höhen des Dachgestühls führen.

Zwei Stunden lang wird das Publikum durch das Gerichtsgebäude geführt, die Justizvollzugsanstalt liegt übrigens gleich nebenan, durch Gänge und Säle, bis ganz hinauf, wo das papierne Gedächtnis des Amtsgerichts liegt.

Im Apparat der Macht

Aber was hat das alles eigentlich mit Arbeit zu tun? Kroesinger wird im Programmheft damit zitiert, er nehme keine Standpunkte ein, es gehe darum, „den Mechanismus durchschaubar zu machen, in dem man agiert“. Er greift Dramaturgien der Bürokratie auf: das Warten auf unbestimmte Zeit, das geschäftige Eilen über die Gänge, mit Akten unter Arm oder ohne. Er legt Material vor, das es dem Zuschauer überlässt, die Zusammenhänge herzustellen.

Der Zusammenhang zwischen Arbeit und dem Ort der Inszenierung ist offensichtlich: Wir befinden uns im Apparat der Macht. Sascha Maria Icks, Kika Schmitz und Andreas Möckel verkörpern diese Sphäre in strengen Büro-Uniformen, kommandieren höflich, aber bestimmt treppauf, treppab, teilen das Publikum zwischendurch in kleine Gruppen auf und führen es wieder zusammen.

Es ist, wie die Mühlen der Bürokratie, kein lautes Geschehen, kein rasantes. Kroesinger hat einen Abend von eher stiller Intensität geschaffen, der die Aura des Ortes aufnimmt, die Strenge, die Sachlichkeit, die ja immer wieder auch bizarre Blüten treibt.

Am Ende, unterm Dach, inmitten des Gedächtnisses des Amtsgerichts, fallen dann übrigens doch noch die berüchtigten Worte: Andreas Möckel spricht sie, als lese er aus einer Akte vor: „Arbeit macht frei – oder?“

Arbeit, so wäre das zu verstehen, ist nicht ohne ihre gesellschaftlichen Bedingungen zu begreifen, die bis tief in das Private hinein wirken – vor allem heute. Aber das ist eigentlich weniger interessant als die Inszenierung, die die Aura ihres Ortes wirken lässt und über zwei Stunden lang Spannung hält.  ANDREAS SCHNELL

Nächste Aufführungen: 10 und 13. April, 19.30 Uhr, Amtsgericht Bremerhaven, Nordstr. 10. Internet: www.stadttheaterbremerhaven.de