Eine Frage der Ansprache

ONLINESPIELE Hamburgs Straßenprojekt Hinz & Kunzt hat mit dem „Egoseller“ ein eigenes Internetspiel herausgebracht. Es ist der Gegenentwurf zum auf Provokation getrimmten „Pennergame“

„Booaa, deine Zähne sehen ja echt gammlig aus“

Dialog aus „Egoseller“

Obdachlos sein ist im wahren Leben nicht einfach, aber auch im Spiel hat es seine Tücken. Im Onlinegame „Egoseller“ des Hamburger Obdachlosenzeitungs-Projekts Hinz & Kuntz kann der Internetuser in die Rolle der Wohnungslosen schlüpfen und versuchen, die Hamburger Straßenzeitung zu verkaufen. In einer Kneipe muss der Spieler innerhalb von zwei Minuten bis zu elf Gäste ansprechen. Davon, wie er die potenziellen Kunden anspricht, hängt ab, ob er die Zeitungen verkauft – oder ob er weggeschickt wird.

Mit „Egoseller“ gibt Hinz & Kuntz seine Antwort auf das „Pennergame“, mit dem man bei dem Obdachlosen-Projekt nicht einverstanden ist. Bei dem Onlinespiel, das von zwei 21-jährigen Hamburgern entwickelt wurde, schlüpft der User ebenfalls in die Rolle eines Obdachlosen. Allerdings ist der eigene „Penner“ grundsätzlich schlecht gelaunt und aggressiv, wenn sein Promillegehalt unter 2,5 sinkt. Um den Pegel konstant zu halten, muss der Penner betteln, Pfandflaschen sammeln oder Verbrechen begehen.

„Das Spiel schürt die bestehenden Vorurteile und ist diskriminierend“, sagt Isabel Schwartau von Hinz & Kuntz. Das „Pennergame“ bilde ein falsches Bild der Obdachlosigkeit auf Hamburgs Straßen ab. Dort finden nicht regelmäßig bewaffnete Bandenkämpfe um die Vorherrschaft im Viertel statt. Nicht jeder Obdachlose sei von Natur aus alkoholabhängig, aggressiv und kriminell.

Auch wenn es nicht der Anspruch der Macher gewesen sei, ein gesellschaftskritisches Spiel zu konstruieren, sollte dennoch mit Vorsicht auf Klischees eingegangen werden, verlangt Schwartau. In der Hinz & Kunzt Alternative „Egoseller“ kann der User aus vorgeschriebenen Texten auswählen, wie die potenziellen Käufer angesprochen werden sollen. Dabei entscheidet der Spieler, ob er freundlich oder unhöflich, steif oder locker spricht. Auf Anhieb lässt sich nicht genau vorhersagen, wie der Angesprochene reagiert, das muss ausprobiert werden.

Spielemacher Ernst-Ludwig Galling und seine Mitstreiter von der Hamburger Firma Labor 1 haben „Egoseller“ für Hinz & Kuntz kostenlos programmiert, weil auch sie mit dem Pennergame nicht einverstanden waren. Sie haben sich viele Dialoge ausgedacht. Aber der Spieler kann auch eigene Dialoge schreiben, die dann von Hinz & Kuntz geprüft und dem Spiel hinzugefügt werden.

Die Macher des „Pennergames“ haben auf die Konkurrenz von Hinz & Kunzt mit Spott reagiert. „Spiele, die politisch korrekter sind als Schulbücher, bleiben Nischenprodukte für Jugendliche, mit denen auf dem Schulhof keiner spielen will“, erklärt die Farbflut Entertainment GmbH, die das „Pennergame“ betreibt. Das „Pennergame“ sei im Vergleich viel geeigneter, um Aufmerksamkeit zu erreichen, sagen seine Macher. Schon der Name sei provokant und würde das Thema in den Fokus der Medien rücken, meint „Pennergame“-Mitgründer Marius Follert.

Die Farbflut Entertainment GmbH weist darauf hin, dass sie jährlich „einen mittleren fünfstelligen Betrag an wohltätige Vereine“ spendet. Das Projekt Hinz & Kunzt ist nach Angaben von Hinz & Kunzt allerdings nicht dabei.

Ob „Egoseller“ wirklich so politisch korrekt ist, wie die Macher des „Pennergame“ unterstellen, ist allerdings noch die Frage. Auch hier werden Probleme angedeutet, in Dialogen geht es etwa auch um die Zahnhygiene der Verkäufer: „Booaa, deine Zähne sehen ja echt gammlig aus.“

Den Zuspruch des „Pennergames“ dürfte „Egoseller“ freilich nicht erreichen. Im Jahr 2008 hatte das „Pennergame“ mehr als 1,7 Millionen User. Aber, sagt Schwartau, „Egoseller“ sei auch gar nicht als Konkurrenz gedacht, sondern als „Statement“.

LISA FRANKENBERGER