Körper knallen auf den Boden

THEATER In „’N Haufen Kohle“ am Maxim Gorki Theater geht es um Geld und Verbrechen, aber vor allem um zwei mexikanische Wrestler mit glitzernden Beintrikots, die sich einen mit Konfetti berieselten Ringkampf liefern

Man ahnt, dass hier die Grenzen des Theaterapparats ausgetestet werden sollten

VON SIMONE KAEMPF

Ein Regisseur geht für vier Wochen nach Mexiko. Er will für ein Theaterprojekt proben, trifft aber auf Menschen, die ihm sein eigenes Verhältnis von Realität und Nichtrealität in einem anderen Licht erscheinen lassen. Statt mit vier kommt er mit neun Schauspielern und zwei mexikanischen Wrestlern zurück. So lässt sich die Vorgeschichte von Antú Romero Nunes neuem Theaterabend „’N Haufen Kohle“ erzählen. Als i-Tüpfelchen verlegt das Maxim Gorki Theater die Premiere dann von der kleinen auf die großen Bühne – ein Vorzeigebeispiel für Flexibilität, wenn ein Projekt plötzlich anders verläuft. Und auch eine Vertrauensgeste an den knapp dreißigjährigen Nunes, einen vor Ideen sprühenden Regisseur, der mit wenigen Mitteln – Nebel, Licht, Musik – auf der Bühne illusionistisch zu zaubern vermag.

Zu Beginn von „’N Haufen Kohle“ tritt Nunes selbst auf die Bühne, erzählt von Mexiko und bittet das Publikum um eine Spende für ein Waisenkind. Jeder soll einen Schein weiterreichen. Er selbst gibt den ersten Fünfziger. Tatsächlich kommt ein gutes Bündel zusammen, und Nunes kann es im Geldsack nach vorn auf die Bühne werfen. Eigentlich, um die Scheine dort in einer Feuertonne zu verbrennen, aber dann dient der Geldsack auf der Bühne als Startsignal für einen Überfall auf einen Geldtransporter – wie Nunes hier von der Realität in die Bühnenfiktion überleitet, trägt seine typische Handschrift: die Spielsituation offen zeigen, von dort den Einstieg ins emotionale Spiel nehmen.

Das Geld schnappen sich zwei Luchadores, mexikanische Wrestler, die von hinten durch die Pappwand auf die Bühne gestürmt sind. Sie tragen schwarze Anzüge, Turnschuhe und verbergen ihr Gesicht hinter bunten Masken. Im Stroboskoplicht werden Bruchstücke eines Überfalls nachgespielt, verschreckte Geisel liegen auf dem Boden, Chaos auf der Bühne. Ein korrupter Polizist im Trenchcoat taucht auf und simuliert eine Vergewaltigung, aber sagt auch einen der sinnigen Sätze: dass es gar keine richtigen Verbrecher mehr gibt, nur noch Verrückte, die das System korrumpieren wollen.

Man horcht an dieser Stelle auf, denn das Maxim Gorki Theater vereint derzeit mehrere Arbeiten unter seinem Dach, die sich mit Verbrechen beschäftigen. Vor drei Wochen hatte die „Gladow Bande“ in der Regie von Jan Bosse Premiere, im Mittelpunkt der jugendliche Bandenchef Werner Gladow, der im Berlin der Nachkriegszeit zwischen den Sektoren switcht und für sich ausnutzt, dass die Alliierten untereinander Informationen vorenthalten.

Werner Gladow gab es wirklich. Sein historisches Vorbild hat immer wieder Fantasien freigesetzt. Der Autor und Regisseur Thomas Brasch wollte einst einen Lehrfilm über ihn drehen – im Glauben, dass mehr Kriminalität die DDR zum Guten verändern könnte. Bosse hat den Stoff am Gorki allerdings mehr als harmlose Ganovenrevue im Stil der Fünfziger inszeniert.

Gefährlicher wird es auch in „’N Haufen Kohle“ nicht. Systemverändernde Kraft von Verbrechen? Keine Spur. Rohe Gewalt, mit der sich mexikanische Drogenbanden und Staat bekriegen? Nur angedeutet. In Erzählsplittern geht es um Frauen, die sich zu jung prostituieren, um Korruption, Stimmen flüstern dem Wrestler El Loco ein, der jetzt im Gefängnis sitzt, alles simultanübersetzt, denn es spielen ja mexikanische Schauspieler mit.

Als man immer noch auf eine Auflösung der Geschichte hofft, verwandelt sich die Bühne in eine Boxarena, in der El Loco und El Guapo mit nackten Oberkörper und glitzernden Beintrikots einen Showdown austragen. Einer schleudert den anderen in die Seile. Körper knallen auf den Boden. Jemand fliegt den Zuschauern vor die Füße.

All das entwickelt auch seinen Sog: Die aufgepumpten Körper fliegen wie Puppen durch die Luft, eigentümliche Kräfte scheinen auf sie zu wirken, auch wenn man weiß, dass der Fight einstudierten Choreografien folgt.

Wie sich das Theater in einen mit Konfetti berieselten Boxkampf verwandelt, mit den dicht gedrängten Zuschauern an den Seilen, das gibt einen wirklich schönen Überraschungseffekt. Mehr jedoch nicht. Der Kampf ist schnell vorbei, im Tumult taucht der Geldsack noch mal auf.

Sollte es nicht irgendwie um die Gemeinschaft stiftende und zerstörende Kraft des Geldes gehen? Der Faden ist längst verloren. Man rätselt, worauf der Abend abzielt, man ahnt, dass Nunes die Grenzen des Theaterapparats austesten wollte, einen rohen Abend provoziert hat, der mal nicht so detailliert perfekt gemacht ist.

Man nimmt es jedoch nicht übel. Im Juni endet die Intendanz von Armin Petras. Nunes wird wie viele Schauspieler, Regisseure und Mitarbeiter das Haus verlassen, in das man auf letzter Strecke noch mal so gern geht. Warum, das zeigt auch „’N Haufen Kohle“: Selbst wenn es schiefläuft, ist solche Energie gerade kaum anderswo zu spüren.

■ „’N Haufen Kohle“ läuft noch einmal heute, 19.30 Uhr, „Gladow-Bande“ wieder am 10./21. 4., Maxim Gorki Theater, www.gorki.de