„Die Roma werden verfolgt“

Die serbische Praxis verstößt gegen die Menschenrechte, sagt die EU-Abgeordnete Barbara Lochbihler

■ 54, führte zehn Jahre lang die deutsche Sektion von Amnesty International. Heute sitzt sie für die Grünen im Europaparlament und leitet den Menschenrechtsausschuss.

taz: Frau Lochbihler, Serbien hindert eigene Bürger an der Ausreise, damit sie im Ausland keinen Asylantrag stellen können. Ist die EU schuld daran?

Barbara Lochbihler: Ich vermute, dass das so ist. Ich habe sowohl bei Innenkommissarin Cecilia Malmström als auch bei Erweiterungskommissar Stefan Füle nachgefragt, ob wegen der Zahl der Asylbewerber Druck auf Serbien ausgeübt wird. Sie haben dies bestritten. Doch im Fortschrittsbericht zu Serbien und Mazedonien etwa steht, dass diese Länder Missbrauch der Visumfreiheit verhindern sollen.

Sind Ausreisesperren legal?

Serbien darf den Leuten nicht die Ausreise verweigern. Das verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und Antidiskriminierungsgesetze.

Welche Rolle spielt die deutsche Regierung dabei?

Innenminister Friedrich hat die ankommenden Roma im Herbst als faule Sozialschmarotzer hingestellt und seinen Einfluss in der EU genutzt. Nach außen hält Brüssel an der Visumfreiheit fest, aber intern wird von den Mitgliedsstaaten sicher Einfluss auf die einzelnen Kommissare genommen, damit sie stärker in Belgrad intervenieren.

Warum hat bislang noch kein Betroffener dagegen geklagt?

Die Roma haben schon oft die Erfahrung gemacht, dass das Recht nicht auf ihrer Seite ist. Sie haben auch nicht die Mittel, die formellen Wege zu beschreiten.

Ist der serbischen Regierung ein Vorwurf zu machen?

Ich bin sehr erschrocken, als ein serbischer Regierungsvertreter im Oktober gesagt hat, dass Serbien Deutschland die Sozialleistungen für serbische Asylsuchende erstatten soll. Das zeigt eine ziemlich verfehlte Regierungsauffassung.

Die Anerkennungsquote für Asylanträge aus Serbien und Mazedonien liegt in Deutschland bei 0 Prozent. Zu Recht?

Nein. Die Roma kommen wegen des Elends und ihrer Armut. Ihr Recht auf Wohnung ist nicht erfüllt, sie haben keinen Zugang zur Kanalisation, die Kinder werden in Sonderschulen abgefertigt und erwerben keinen grundlegenden Bildungsabschluss – nur, weil sie Roma sind. Für europäische Verhältnisse ist das katastrophal. Das europäische Recht sieht Asyl bei sogenannter Gruppenverfolgung vor. Angesichts der systematischen Ausgrenzung von Roma in vielen osteuropäischen Staaten sehe ich eine solche gruppenspezifische Verfolgung gegeben. INTERVIEW: CJA