Die Härte des Moralpredigers

RAUSSCHMISS Nach einer Niederlagenserie entlässt Hannover 96 Trainer Bergmann. Darüber, wie viel Robert Enke in all dem steckt, was im Klub passiert, mag keiner so recht reden

AUS HANNOVER CHRISTOPH ZIMMER

Der Himmel war grau, die Stimmung dementsprechend. Und es hatte zuletzt mehr Fragen als Antworten gegeben. Eine ganz wesentliche davon hatten die Verantwortlichen von Hannover 96 an diesem nasskalten Dienstagvormittag bereits geklärt. Denn als sich die Spieler des seit mehreren Wochen ohnmächtig in die Bedeutungslosigkeit taumelnden Bundesligisten auf ihren Weg zu einem leichten Lauftraining um den in diesen Tagen so schön vom Schnee umgebenen Maschsee begaben, war einer schon nicht mehr dabei. Andreas Bergmann, 50, der Trainer, wurde wenige Momente zuvor mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden. Auch in Hannover, wo man nach dem Freitod von Nationaltorhüter Robert Enke im November besonders nachdrücklich für einen menschlicheren Umgang im Fußballbusiness geworben hatte, sind die nervösen Zuckungen des Geschäfts nun endgültig wieder eingekehrt.

„Nach drei Niederlagen hintereinander und einer Negativserie von mittlerweile sieben Spielen ohne Sieg hatten die Verantwortlichen von Hannover 96 nicht mehr das Gefühl, dass Andreas Bergmann der Mannschaft die nötigen Impulse für den Verbleib in der Bundesliga geben kann.“ Dieser Satz von Jörg Schmadtke wurde am Dienstagvormittag über die Agenturen verbreitet.

Sie scheinen gefangen in der eigenen Moral, der fußballferne Präsident Martin Kind und Jörg Schmadtke, der ehrgeizige Sportdirektor. Auf der einen Seite waren die Niederlagen, die orientierungslos wirkende Mannschaft und die langsam, aber unaufhaltsam näher kommende Angst vor dem drohenden Abstieg. Dem gegenüber stand der eigene Anspruch, nach dem Verlust ihres Torhüters einen eigenen, anderen Weg gehen zu wollen.

Diesen Weg haben sie nun verlassen. Dabei hatten gerade Kind und Schmadtke selbst einen durchaus großen Anteil daran. Sie waren nach den vielen Niederlagen und der durchwachsenen Vorbereitung nicht mehr bereit, dem herrlich authentischen Trainer Bergmann das Vertrauen zu geben, das er nach der Rücktrittsentlassung von Dieter Hecking im August rechtfertigte und das es in dieser schwierigen Situation so dringend gebraucht hätte. Damit hielten sie nicht hinter dem Berg – und kommunizierten dies mehrfach und überaus nachhaltig. In Hannover, wo die Medien noch hektischer und ungerechter sind als anderswo, verselbständigte sich die Situation schnell. Das hilflose Auftreten beim 0:3 zum Rückrundenauftakt gegen den Tabellenletzten aus Berlin tat ein Übriges.

Spätestens nach den aberwitzigen drei Eigentoren und der anschließenden Niederlage in Mönchengladbach war diese Entwicklung spürbar. „Nach diesem Spiel ist eine Angst in die Mannschaft gekommen“, sagte Arnold Bruggink, Hannovers Spielmacher und Kapitän. „Es fehlt das Vertrauen, es fehlt ein Sieg.“ Den gab es nicht. Und das machte die noch immer nachwirkende Trauer um einen verlorenen Spieler nicht gerade leichter. „Das ist ein ganz schwieriges Thema“, sagt Bruggink, „aber innerhalb der Mannschaft ist das kein Thema mehr.“ Es fällt schwer, das zu glauben, auch wenn die Spieler bemüht sind, diesen Eindruck zu vermitteln. „Es wäre zu einfach, das als Ausrede zu nehmen“, meinte Christian Schulz.

Eine Ausrede haben auch die Verantwortlichen nach der Entlassung von Andreas Bergmann nicht mehr. „Wir werden versuchen, kurzfristig eine Nachfolgelösung zu präsentieren“, sagte Schmadtke, der nach dem Selbstmord von Robert Enke immer wieder seine Zweifel geäußert hatte, dass sich in der aufgeregten Fußballwelt langfristig etwas ändern würde. Dass sich auch in Hannover nicht viel geändert hat, dafür ist der Moralprediger selbst verantwortlich.