Kein Schmerz auf deiner Haut

Der Koreaner Kim-Joon traut sich in der Ausstellung „Tattoo You“ noch mal an eine provokante Vision des total vermarkteten Körpers von morgen

VON JAN KEDVES

Vier Menschen in einem dunklen Raum. Sie scheinen auf irgendetwas zu warten und beschäftigen sich derweil mit der einen oder anderen Form der Zerstreuung, rauchen eine Zigarette, surfen im Internet oder schauen fern. Dass sie völlig nackt sind, scheint sie nicht weiter zu stören – was damit zusammenhängen könnte, dass sie alle mehr oder weniger großflächige Tätowierungen auf ihrer Haut tragen, sich also möglicherweise gar nicht nackt vorkommen. „We (Scene at the Tattoo-Studio)“ lautet der Titel dieses Fotos. „Fängt ja ganz gut an“, denkt man sich da.

Diesem intimen Einblick in die Tätowierpraxis seiner Heimat lässt der koreanische Künstler Kim-Joon in seiner Ausstellung „Tattoo You“, die zurzeit in den Alexander Ochs Galleries zu sehen ist, einen flotten Multimediamix folgen: Fotografien, Videoanimationen, Skulpturen und Fotomontagen, in denen allerhand Vorschläge präsentiert werden, wie Tätowierungen in Zukunft aussehen könnten. In einer Videoarbeit überlegt Kim-Joon zum Beispiel, Tätowierungen künftig dreidimensional zu realisieren – mit kleinen, unter der Haut sitzenden Luftballons, die sich auf- und wieder leer pumpen lassen. Dann zeigt er Bilder von Cyborgs, deren Fetisch es zu sein scheint, ihre bunte Plastikhülle mit kleinen Stücken echter menschlicher Haut zu bekleben und dann noch zu tätowieren. Irgendwie wenig Substanzielles zum Thema.

Den Hauptteil der Ausstellung aber machen groß aufgezogene Fotos aus, bei denen man sich vor Unglauben die Augen reibt: Kim-Joon stellt nackte Menschen zu dritt vor einen weißen Hintergrund, lässt ihre Köpfe über den Bildausschnitt ragen und tätowiert ihre Körper dann großflächig mit Firmenlogos von Adidas, Starbucks und anderen Supranationalen. Der Körper als Ware, die Überidentifikation mit Trademarks: Das sind nun wirklich keine besonders neuen Themen. In Deutschland hatte man das schon bei Flatz, der zu dem Thema im Prinzip schon alles sagte, als er sich Ende der Achtziger den Barcode einer Zigarettenmarke auf den Bizeps stechen ließ – und sich von dem Unternehmen dafür entsprechend entlohnen ließ. In der Zwischenzeit hat man sogar schon von HipHoppern gehört, die sich den Nike-Swoosh ganz freiwillig auf ihre Muskeln tätowieren ließen.

Kim-Joon wird von Flatz noch nie etwas gehört haben. Dennoch: Will man seine Logo-Tattoos als Provokation werten, wird man das Gefühl nicht los, dass er damit etwas spät dran ist. Wertet man sie hingegen unter rein ästhetischen Gesichtspunkten, muss man die technische Umsetzung, die nur mit einer alten Photoshop-Version und einem leistungsschwachen Rechner stattgefunden haben kann, monieren: Für Pixar-geschulte Augen outen sich die Bilder zu schnell als Fälschungen. Und ob es um Pigmente unter der Haut oder doch nur um Pixel auf der Haut geht, das ist für die Glaubwürdigkeit von Tattoos noch immer ein entscheidendes Detail. Kim-Joons Visionen vermitteln nichts Schmerzhaftes, nichts Endgültiges, nichts Radikales mehr – ein Klick, und sie wären verschwunden. Man fragt sich, ob die Ausstellung nicht besser unter das Motto „Bodypainting“ oder „Nackte als Leinwand für Diaprojektionen“ gepasst hätte.

Wahrscheinlich vom Künstler eher unbeabsichtigt: Am Ende ist das Buch „1.000 Tattoos“, ein opulent bebilderter und theorieunterfütterter Wälzer aus dem Taschen Verlag, der in der Galerie zur thematischen Vertiefung ausliegt, das bei weitem interessanteste Exponat. In ihm blätternd, lernt man, dass die Tätowierkunst 1891 ihren Quantensprung erlebte: Da erfand ein Herr namens Samuel O’Reilly die elektrische Tätowiermaschine – wodurch Tattoos erstmals gleichmäßiger und dauerhafter dorthin gebracht werden konnten, wohin Kim-Joon nicht kommt: unter die Haut.

Bis 15. 1. bei Alexander Ochs, Sophienstraße 21, Di.–Fr. 10–13 und 14–18 Uhr, Sa. 11–18 Uhr