„sie hatten ein stofftier?“ von WIGLAF DROSTE
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Die Gehirnwäscheparole von der „Servicewüste Deutschland“ trägt Früchte. Dem vom Menschen zum Konsumenten Herabgesunkenen treten Sklaven entgegen, die fließend „sehr gern“, „bitte recht sehr“, „danke, der Herr“ und vor allem „schönen Abend noch“ sagen können, immer und immer wieder „schönen Abend noch.“ Sie sind einheitlich dressiert und gedrillt worden. Unterwürfigkeit ist das Ausbildungsziel; der Herrenmensch hat es gern, wenn er auf erniedrigte, servile Gestalten herabsehen darf. Mit freundlicher, schneller und reibungslos guter Bedienung, wie sie sich jeder wünscht, hat das nichts zu tun – bloß damit, dass es wieder Herren und Knechte gibt. Beides möchte ich weder sein noch um mich haben.

Wer im Café der Kellnerin oder dem Kellner im Befehlston „Ich bekomme eine Cola!“ hinschmettert, sollte sie auch bekommen, am besten direkt ins Gesicht. Ohne das freundliche Zauberwort „bitte“ geht gar nichts; wer es nicht beherrscht, soll zu Hause bleiben oder allenfalls angeleint auf die Welt losgelassen werden.

Nach der Bedienung mit den Fingern schnipsen ist ganz verboten, da heißt es nur: Islam her und ab damit. Auch wer wild mit den Armen fuchtelt und durchs Lokal schreit, muss zurück auf Los und noch mal ganz von vorne anfangen. Herablassung ist eine Haltung, die man sich für Chefs und andere Angeber aufhebt. Sie einer Bedienung gegenüber an den Tag zu legen, ist schäbig und darf mit Ohrfeigen vergolten werden.

Umgekehrt muss ein Gast das schöne Gefühl vermittelt bekommen, auch ein Gast zu sein – also ein König und kein Fußabtreter, an dem allerlei Launen abgestreift werden können. Wer sich großmütig behandelt sieht, wird ebenfalls Großmut zeigen, so er dazu fähig ist. Menschen, die man dazu abgerichtet hat, vorgestanzte Phrasen von sich zu geben und ihr Lächeln an- und auszuknipsen wie eine Stehlampe, lösen Mitleid aus und Wut auf die Verhältnisse; mit Gastfreundschaft haben sie nichts zu tun.

Eine besonders seltsame Geste ist es, dem Hotelgast in der Minibar ein Plüschtier anzubieten. In Cellophan verpackt liegt ein Stoffbär zwischen Rotwein, Schokolade, Studentenfutter, Kartoffelchips und Salzstangen. Neugierig nimmt man ihn in die Hand. Warum das jetzt, fragt man sich – kleine Kinder sind doch eher selten zu Gast in Hoteleinzelzimmern. Oder ist das Stofftier für einen Mitarbeiter der Firma McKenzie bestimmt, der nach einem harten Arbeitstag als Stellenvernichter vor Scham und Selbstmitleid zerfließt und zum Trost eines Kuscheltiers bedarf, in das er sein Elend hineinheult: „Buhu, ich bin so schlecht …“

Ich legte das verpackte Stofftier zurück in die Minibar; die sensorische Sicherung hatte es allerdings als entnommen registriert. Weshalb am nächsten Mittag, als ich das Hotel verließ und meinen Schlüssel an der Rezeption abgab, die junge Frau hinter dem Tresen zu mir sagte: „Sie hatten ein Stofftier?“ Ich musste lachen, sie ebenfalls, und ich sah, wie ihr die Doppeldeutigkeit, ja Anzüglichkeit ihrer Frage klar wurde. „Nein“, sagte ich, „kein Stofftier“, lächelte freundlich und ging, ihr gellendes „Schönen Tag noch!“ in den Ohren.