Spätabtreibung gründlicher bedenken

Gynäkologen und Bundesärztekammer fordern klare Regelungen für späte Schwangerschaftsabbrüche. Es soll eine Pflichtberatung und Besinnungszeit geben. Auch CDU, SPD und Grüne sind für eine Bedenkfrist. SPD lehnt Zwangsberatung ab

„Bei einer Hasenscharte findet sich kein Arzt, der den Abbruch macht“

VON BARBARA DRIBBUSCH

Das Thema erzeugt Horrorbilder: Ärzte, die fast schon geburtsreife Feten töten, weil diese behindert sind. Oder Eltern, die verzweifelt eine Klinik für eine späte Abtreibung suchen, weil sie kein gehandikaptes Baby bekommen wollen. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) will jetzt zusammen mit der Bundesärztekammer im Januar ein Papier vorlegen, in dem sie klare formale Regelungen für Spätabtreibungen fordert.

Laut dem Ärzte-Papier soll der Schutz des ungeborenen Kindes künftig über den Zeitraum der ganzen Schwangerschaft „identisch gehalten werden“, erklärte der Präsident der Gynäkologengesellschaft, Klaus Vetter, im Gespräch mit der taz. Dies hieße, dass die Beratungspflicht und mehrtägige Bedenkzeit für die Mutter, wie sie bei Abtreibungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche gilt, künftig auch für spätere Abbrüche eingeführt wird. Solch klare Regelungen erzeugten mehr Sicherheit für die Ärzte, sagte Vetter. In der Vergangenheit sei die ganze Problematik der späten Abtreibungen behinderter Kinder zu stark auf die Ärzte abgeschoben worden.

Dass zumindest die Bedenkzeit und eine bessere Beratung kommt, dafür stehen die Chancen in einer großen Koalition relativ gut. Unionsfraktionschef Volker Kauder hatte jetzt in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gefordert, dass künftig zwischen der Feststellung der Behinderung und der Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs drei Tage Bedenkzeit liegen müssten. Auch möchten die Christdemokraten, dass für die Frau eine „psychosoziale Beratung“ erforderlich sei.

Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Christel Humme, hatte der CDU in einem Interview mit dem Tagesspiegel vorgeworfen, Frauen durch eine Beratungspflicht „bevormunden“ zu wollen. Sie zeigte sich aber offen gegenüber der Einführung einer Bedenkfrist. Auch der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, hält eine Bedenkzeit für sinnvoll, eine Pflichtberatung aber sei „problematisch“.

Derzeit sind Abbrüche bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei, wenn sich die Frau hat beraten lassen. Danach kann man das Ungeborene nur noch mit einer so genannten medizinischen Indikation abtreiben, wenn die Mutter aufgrund der Schwangerschaft körperlich oder seelisch gefährdet ist und sich nicht in der Lage sieht, das Kind haben und aufziehen zu können.

Besonders heikel sind so genannte Spätabtreibungen jenseits der 23. Schwangerschaftswoche, weil der Fötus dann unter Umständen schon lebensfähig ist. Dies passiert beispielsweise wenn eine schwer wiegende Behinderung, etwa ein offener Rücken mit Beinlähmung, per Ultraschall in der 22. Woche entdeckt wird. Das ist jedoch selten: Von 120.000 Abtreibungen jährlich werden nur rund 2.000 Eingriffe zwischen der 13. und 23. Woche und 200 Abbrüche jenseits der 23. Woche gemacht.

Nach derzeitiger Praxis wird eine werdende Mutter, bei deren Fötus eine schwere Behinderung diagnostiziert wird und die sich für eine Abtreibung entscheidet, an eine Klinik verwiesen. DGGG-Präsident Vetter, der am Klinikum Neukölln in Berlin als Gynäkologe und Geburtshelfer arbeitet, sagt, dass die Ärzte dort den Eltern schon eine Bedenkzeit empfehlen. Auch werde der Wunsch nach einer Abtreibung in bestimmten Fällen durchaus abgelehnt. Wenn etwa Eltern ihr Baby nicht wollen, nur weil es eine Hasenscharte haben wird, „dann findet sich wohl kein Arzt, der einen solchen Abbruch macht“, meint Vetter.

Konkrete Regelungen, bei welchen Erkrankungen des Fötus eine Abtreibung gemacht werden darf oder nicht, sind im Gesetz schon seit 1995 nicht mehr vorgesehen – dies verschob die Entscheidung auf die Befindlichkeit der Mutter.

In der Vergangenheit gingen Fälle durch die Medien, wo abgetriebene Babys mit schweren Behinderungen überlebten. Die DGGG fordert daher auch klare gesetzliche Vorgaben, wann die Tötung des Fötus vor der Abtreibung im Mutterleib gestattet ist.