Körbchengröße 75 oder 80 C? Das ist reine Privatsache

SCHWEDEN Urteil gegen Dessous-Kette. Dort mussten Verkäuferinnen Schilder mit BH-Größe tragen

Das Gericht bejaht eine Diskriminierung aus geschlechtlichen Gründen

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Darf ein Arbeitgeber von seinen Verkäuferinnen verlangen, Schilder zu tragen, auf denen sie Brustumfang und BH-Größe öffentlich kundtun müssen? Nein urteilte am Mittwoch ein schwedisches Arbeitsgericht. Damit bekam Linn S., eine ehemalige Verkäuferin, Recht gegen die dänische Dessous-Kette „Change of Scandinavia“. S. wurde ein Schadensersatz von umgerechnet 6.000 Euro zugesprochen. Die Firma muss auch Gerichts- und Anwaltskosten in Höhe von 45.000 Euro tragen.

Bei ihrer Anstellung 2009 in der „Change“-Filiale in Sundsvall erhielt Linn S. ein Namensschild, auf dem auch ihre Körbchengröße vermerkt war. Mit Hilfe der Handelsgewerkschaft zog sie vor Gericht: „Wieso ist jemandem, der einen BH kaufen will, geholfen, wenn er weiß, welche Größe ich habe?“ Solche Angaben seien als Service gedacht, erklärte „Change“-CEO Susann Haglund. Beabsichtigt sei damit eine Art „Wiedererkennungseffekt“ zur besseren Orientierung. Auch die Angestellten hätten die Schilder als positiv empfunden. Zudem sei das Tragen der Namensschilder mit diesen Angaben freiwillig gewesen.

Eine Behauptung, die nach Überzeugung des Arbeitsgerichts nicht stimmte. Es folgte dem Vortrag der Klägerin: Als diese darauf hingewiesen habe, sie empfinde dieses Schild als kränkend, habe man ihr geantwortet, es müsse immer getragen werden. Es habe auch schriftliche Anweisungen insoweit gegeben. Zudem sei Teil des Lohns ein Bonussystem gewesen, das auf Angaben von Testkäufern beruht habe. Verkäuferinnen, die KundInnen ohne dieses Schild bedient hätten, seien mit Punktabzug „bestraft“ worden.

Die Handelsgewerkschaft hatte zusätzlich Verkaufspersonal anderer Dessous-Ketten befragt. Dort wurden solche Schilder mehrheitlich abgelehnt. Es sei kaum möglich, dass „Change“-Verkäuferinnen ganz anders ticken würden, sagte die Klägerin. Vielmehr habe vermutlich Angst um den Arbeitsplatz dahinter gesteckt, wenn das bei „Change“ weithin akzeptiert wurde. Ein solcher Schildchenzwang sei eine Diskriminierung der Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Das Gericht folgte dem. Es sieht die Würde der Klägerin verletzt und bejaht eine Diskriminierung aus geschlechtlichen Gründen: Nur weil S. eine Frau sei, habe sie das Namensschild mit diesen Angaben tragen müssen.

Mit dem Ausgang des Verfahrens zeigten sich alle Beteiligten zufrieden. „Meine Auffassung ist bestätigt worden“, sagt S. Die Gewerkschaft freut sich über ein wichtiges Grundsatzurteil. Selbst die Anwältin von „Change“ sprach von einer„vertretbaren Entscheidung“.