Suche nach den verscharrten Opfern

HOLOCAUST Hunderte von Massengräbern in Osteuropa sollen gesucht und geschützt werden

BERLIN taz | Mehr als 60 Jahre nach dem Holocaust liegen noch zehntausende Opfer des Völkermords ohne Grabstein oder Gedenktafel unter den Wiesen und Wäldern Osteuropas. Viele hundert Massengräber auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion sind noch unentdeckt, so wird geschätzt. Und die Zeitzeugen, die sich an die Orte des Massenmords in ihrer Gegend erinnern, sterben nach und nach weg. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

Am Mittwoch trat deshalb ein Bündnis internationaler jüdischer und nichtjüdischer Organisationen in Berlin gemeinsam an die Öffentlichkeit – darunter der Zentralrat der Juden in Deutschland sowie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Ihre vorsichtig vorgetragene Forderung an die Bundesregierung: mehr Hilfe, um die „offene Wunde in der europäischen Landschaft“ zu schließen, wie das American Jewish Committee es formulierte.

Um die Massengräber, eine meist verdrängte Spätfolge des Holocaust, hat sich in den vergangenen sechs Jahren vor allem die französische Organisation Yahad-In Unum gekümmert. Sie wurde gegründet von der katholischen Kirche in Frankreich und dem Jüdischen Weltkongress. Der Priester Patrick Desbois leitet sie. Mithilfe von Archivstudien und Zeitzeugen-Interviews in Osteuropa hat Yahad-In Unum über 400 Erschießungsstätten mit mehr als 1.000 Massengräbern gefunden. Von den rund sechs Millionen Opfer des Holocaust wurden allein in der Ukraine 1,5 Millionen Menschen ermordet, oft in aller Öffentlichkeit. Verscharrt wurden sie meist in Massengräbern.

Zusätzliche Bedeutung gewinnt das Bündnis durch die Teilnahme des Volksbundes, der sich im Auftrag des Auswärtigen Amts bisher fast nur um die in der Regel sorgsam gepflegten Gräber der gefallenen deutschen Soldaten kümmerte. Der Präsident des Volksbundes, Reinhard Führer, dämpfte allerdings die Hoffnung, dass seine Organisation dem Bündnis schnell und umfassend helfen könne. Das gebe weder ihr Auftrag noch ihre Finanzausstattung her, so Führer. Er forderte zudem mehr gesetzlichen Schutz der Massengräber. Bisher sind sie in der Ukraine nicht geschützt. Die Folge: Viele Massengräber werden auf der Suche etwa nach Zahngold ausgeraubt oder verwüstet.PHILIPP GESSLER