Schwitzen in der Polarstation

Wieder so eine typisch Berliner Idee, bei der begrenzte Ressourcen sich mit maximalem kreativem Enthusiasmus paaren:Das „Badeschiff“ neben der Arena in Treptow ist für die Zeit der kalten Wintermonate zu einer Sauna-Oase umgebaut worden

von JAN KEDVES

Platsch! Der von Weihnachtsstress geplagte und mit Zimtkeksen beschwerte Körper taucht tief ein in den neusten Berliner Wellnesswahnsinn. Rechts das Salonschiff „Hoppetosse“ mit seinen Piratenflaggen, links die Oberbaumbrücke, über die hübsch U-Bahnen zuckeln, geradeaus Wasser, Wasser, eiskaltes Wasser. Auf einem der Barhocker gähnt ein Bademeister, aus unsichtbaren Boxen dringt beruhigendes japanisches Geklingel. Es ist eine surreale Szenerie. Doch vielleicht sollte man vorher erst noch einmal das Prinzip hinter dem Badeschiff erklären.

In den letzten beiden Sommersaisons stand man vor der Arena in Treptow öfters auf Stegen in der Spree und blickte fasziniert auf eine blaue, von innen illuminierte Lagune: ein zum Freibad ungebautes Transportschiff. Dabei war es immer ein bisschen lustig zu beobachten, wie sich die jungen Menschen, die hier die Gelegenheit nutzten, sich zu erfrischen, zum Umziehen gschamig ihre Handtücher um die Hüften wickelten. Das Ganze hatte etwas hübsch Provisorisches. Typisch Berlin, irgendwie.

Und so ist es auch jetzt noch, im Winter, als Saunaoase: Eine mobile, aus elliptischen Holzbögen und einer aufgepumpten PVC-Membran konstruierte Haube hat sich über das Badeschiff und seine Stege gezogen. Das Prinzip ist vom Cabriolet bekannt, optisch hat es eher etwas von einer Polarstation. Wie man hört, wurde das Ganze in den Arena-eigenen Werkstätten für vergleichsweise wenig Geld gebaut. Ein Paradebeispiel also für das, worin sich Berlin schon seit langem übt: das Nutzen von limitierten Ressourcen mit maximalem kreativem Enthusiasmus und nomadisch-mobilem Selbstverständnis. Ab Mai soll man hier wieder im Freien planschen können.

Bis dahin allerdings ist der Vorteil eines Wellnesstages auf dem Winter-Badeschiff unbestreitbar seine Aussicht: Während man sich schwitzend vor dem großen Panoramafenster der geräumigeren von zwei Saunen räkelt und die Enten, die im Osthafen vorbeizuckeln, bemitleidet, weil sie doch furchtbar frieren müssen, stellt man sich vor, wie drüben am anderen Ufer, in der Deutschlandzentrale von MTV, die Redakteure, denen möglicherweise wieder gnadenlos langweilig ist, ihre Feldstecher auspacken, um ein bisschen zu spannen. Fehlt eigentlich nur noch eine handtuchschwingende Aufgussmatrone.

Wobei, streng genommen, noch einiges mehr fehlt. In den Umkleiden gibt es noch keine Föhns, in den Duschen vermisst man Haken zum Aufhängen der Frotteemäntel, und die Spindschlüssel haben keine Armbändchen – was dazu führt, dass man sich beim Schwitzen nicht so recht entspannen kann, weil der Schlüssel draußen ja Fremde anlachen könnte. Aber, nun ja, irgendwie sind das auch Kinkerlitzchen, über die man – vorausgesetzt, man ist kein Profisaunagänger – gerne hinwegsieht. Schließlich wurde immerhin an ein „Lesezirkel“-Abo gedacht. Und schließlich ist doch einfach die Idee an sich schon verrückt: eine schwimmende Sauna! Mitten auf der Spree!

Dass eine derartige Idee von Gastronomen stammt – wie es die Betreiber der Arena und der „Hoppetosse“ zweifellos sind –, wundert derweil kaum. Bekanntlich sind Saunabesuche in Gastronomenkreisen sehr beliebt – zum Ausnüchtern. So erklärt sich dann auch die in vergleichbaren Einrichtungen der Berliner Bäderbetriebe völlig undenkbare Präsenz von Spirituosenlogos: Die Badeschlappen, die man am Eingang gereicht bekommt, hinterlassen – sind sie erst einmal nass – viele kleine „Berliner Pilsener“-Schriftzüge auf dem Pressholzboden. Und der Blick durch die transparenten PVC-Planen wird hier und da von „Corona“-Logos pointiert.

Dass man bei einer derart großzügigen Brauereienunterstützung nicht noch auf die Idee kam, auch ein Bierbad im Holzbottich einzurichten, enttäuscht dann ein wenig. Immerhin sind entsprechende Specials in nobleren Wellnesslokalitäten durchaus zu finden, dort soll das Bier vor allem dem Teint enorm bekommen. Mit solch einer Attraktion hätte das sonst eher nüchtern ausgefallene Saunaangebot des Winter-Badeschiffs – zwei finnische Trockensaunen, das war's – noch etwas aufgepeppt werden können.

Doch von fehlenden Sperenzchen wie Kaltwasserbecken, Fuß-Wechselbädern oder Crash-Eis-Brunnen mal abgesehen: Mit dem Winter-Badeschiff ist Berlin auf seinem Weg zur Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten zweifelsfrei einen Schritt weitergekommen. Man lebt nun eben nicht mehr nur in einer Stadt, in der man sonntagnachmittags Leute trifft, die seit zwei Tagen noch von keinem Türsteher nach Hause geschickt wurden; in der sich ein Fernsehturm in einen gigantischen Fußball verwandeln kann; oder in der es einen eigenen Weihnachtsmarkt für Homosexuelle gibt. Nein, man lebt nun eben auch in einer Stadt, in der es sich, bei weiter sinkenden Außentemperaturen, in einem zugefrorenen Fluss schwitzen lässt.

So ist das Winter-Badeschiff zweifellos wieder einer dieser typischen Berliner Orte, die – wenn man von ihnen erzählt – ungläubiges Kopfschütteln hervorrufen und an die man dann Freunde, die zu Besuch in der Stadt sind, führt, um ein bisschen Eindruck zu schinden. Bevor sie wieder verschwinden. Die Freunde und die Orte.