Den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben

STICKSTOFFDIOXID Die Berliner Luft ist stärker belastet, als die EU erlaubt – kurioserweise auch, weil der Kampf gegen Feinstaub erfolgreich war. Die Senatsverwaltung gibt sich ratlos – man tue, was man könne. Grüne sehen dagegen Handlungsspielraum

„Die Busflotte der BVG ist schon jetzt zur Hälfte mit Stickstoffdioxidfiltern ausgerüstet“

BERND LEHMING, SENATSUMWELTVERWALTUNG

Es herrscht dicke Luft in Berlin, wieder einmal. Lange Jahre war es der Feinstaub, der die Umwelt verpestete – bis man ihm mit Umweltzone und Dieselrußfiltern zu Leibe rückte. Weniger erfolgreich zeigt sich Berlin im Kampf gegen Stickstoffdioxid, für das seit 2010 ebenfalls EU-weite Grenzwerte gelten, die spätestens 2015 eingehalten werden müssen. Derzeit werden sie in der Stadt regelmäßig überschritten. Einen Antrag Berlins, die Grenzwerte auch nach 2015 noch überschreiten zu dürfen, lehnte die EU-Kommission kürzlich ab. Als Reaktion auf die Kritik aus Brüssel kündigte Umweltsenator Michael Müller (SPD) diese Woche an, die Einrichtung weiterer Tempo-30-Zonen in Mitte und Schöneberg zu prüfen.

Stickstoffdioxid stammt – wie ehedem der Feinstaub – ganz überwiegend aus Dieselfahrzeugen. Kurioserweise vor allem aus solchen, die mit Rußpartikelfiltern ausgestattet wurden. Man hat sozusagen den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Daher liegt die Konzentration von Stickstoffdioxid seit Jahren an vielbefahrenen Straßen oberhalb des EU-Grenzwertes. Am Hardenbergplatz etwa sind durchschnittlich 60 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter in der Luft. Auch an fünf weiteren der 16 Messstationen in Berlin wird regelmäßig der EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm überschritten.

Der Referatsleiter Immissionsschutz in der Senatsumweltverwaltung, Bernd Lehming, gibt sich ratlos. „Wir haben in den vergangenen Jahren viel getan, um die Luft rein zu halten.“ Die Busflotte der BVG sei schon jetzt zur Hälfte mit Stickstoffdioxidfiltern ausgerüstet, obwohl das erst für 2015 vorgeschrieben ist. Weitere Maßnahmen bis 2017 seien im Luftreinhalteplan festgeschrieben. „Ich weiß nicht, was die EU noch von uns will.“

Viel würde es bringen, wenn auch Privat-Pkws einen Stickstoffdioxidfilter hätten, so Lehming. „Aber der nachträgliche Einbau ist unverhältnismäßig teuer, und für neu zugelassene Privat-Pkws sind Filter erst ab 2015 Pflicht.“ Berlin kämpfe auf Bundesebene seit Jahren dafür, dass die entsprechende Euro-6-Norm für Privat-Pkws ein Jahr früher in Kraft träte. „Doch das haben die Lobbyisten der Autoindustrie bislang verhindert.“

Für eine Citymaut, die in der Londoner Innenstadt den Verkehr um 10 Prozent verringert habe, fehle der Stadt mangels Bundesgesetzen die rechtliche Grundlage.

So bleibt es beim Üblichen: Radwegenetz und Fahrradparkplätze weiter ausbauen und das Fahren mit Stadtbus, S- und U-Bahn in Preis und Taktung attraktiver gestalten. Damit schöpfe das Land alle Möglichkeiten aus, sagt Lehming.

Das sieht die Opposition anders. „Die Umweltziele sind ja schon seit Jahren bekannt, schließlich sollten die Grenzwerte ursprünglich bereits 2010 in Kraft treten“, kritisiert die umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Silke Gebel. Sie begrüßt die Ankündigung Müllers, weitere Geschwindigkeitsbegrenzungen zu prüfen – solange das keine leeren Versprechungen blieben. Die Stadt müsse den nicht motorisierten Individualverkehr stärker fördern. „Mit 1,22 Euro pro Jahr und Einwohner investiert Berlin weit weniger in die Fahrradinfrastruktur als das Vorzeigeland Niederlande mit rund 30 Euro pro Jahr und Einwohner.“ Auch das Tramprojekt der M 4 auf der Leipziger Straße werde nicht fortgeführt. Stattdessen werde das Geld in Straßenneubau wie die A 100 gesteckt. „Das ist sinnlos und viel zu teuer.“

Damit in der City weniger Verkehr wäre, müssten Privatautos ausgebremst werden, meint auch der Verkehrsreferent der Umweltorganisation BUND Berlin, Martin Schlegel. „Der Verkehr müsste bedarfsgerecht geregelt werden. Busse müssten an Ampeln häufiger Grün kriegen. Aber das lässt sich in Berlin nicht umsetzen, weil viele Ampelanlagen zu alt sind.“ Auch würde es helfen, wenn der Bund die Kraftfahrzeugsteuer abschaffte und die Kraftstoffsteuer erhöhte. „Erst dann spüren die Menschen, wie teuer Autofahren wirklich ist“, meint er. Und dann sagt der Umweltlobbyist etwas, was wie vom Mann von der Verwaltung klingt: „Auf Ebene der Stadt hat Berlin alles ausgereizt.“

CHRISTIAN OTT