Die Gutunternehmer

STADTENTWICKLUNG Immer öfter sind es die Kreativen, die in der Stadt bauen. Sie stehen für mehr Vielfalt, ihre Projekte scheinen im Interesse der Allgemeinheit zu sein. Sind sie sich ihrer Verantwortung bewusst?

VON STEPHAN BECKER

Egal, ob es irgendein beliebiger, in den Neunzigern von einem Investor hingeklotzter Block oder der aktuelle Erweiterungsflügel des Aufbau-Hauses am Moritzplatz ist: Die Bilder, die vorab von den Bauvorhaben in Umlauf gebracht werden, gleichen sich. Die Architekten setzen Menschen der gehobenen Mittelklasse vor die am Computer gefertigten Hausansichten. Dazu gibt man einen Touch Internationalität und Künstlertum, Vintage-Klassiker von Mercedes und Fiat. Die Farben sind hier wie dort gepflegt blass gehalten. Der Unterschied zwischen damals und heute liegt woanders: Heute geht es nicht mehr darum, noch mehr Büros zu bauen. Heute bauen die Kreativen selbst. Nach Jahren der Verdrängung ist es ihnen gelungen, in bester Innenstadtlage selbst harte Fakten zu schaffen. Da ist etwas passiert.

Der erste 2011 fertiggestellte Bauabschnitt des Aufbau-Hauses war eine Art Prototyp für diese Entwicklung. Mit seiner Mischung aus Verlagen, Kreativbedarfs-Einzelhandel, Theatern, Galerien und sozialen Einrichtungen erhielt die Entwicklung des Kiezes um den Kreuzberger Moritzplatz zu einer Art Kreativquartier einen starken Schub. Das Haus zeigte darüber hinaus aber auch, dass ein Neubau für Nutzer aus diesen Branchen funktionieren kann. Das machte das Aufbau-Haus zu einem Vorreiter für Projekte wie das Kunst- und Kreativquartier am Blumengroßmarkt und das Kreativdorf am Holzmarkt, die, beide gerade in der fortgeschrittenen Planung, eine ähnliche Mischung auf ein ganzes Quartier anwenden. Das Aufbau-Haus wird ab Sommer entlang der Oranienstraße erweitert und Platz für noch mehr Galerien, Gastronomie und Ateliers schaffen.

Kultur als letzter Fetisch der Stadtentwicklung – seit dem Guggenheim Museum in Bilbao ist das nichts Neues mehr. Und teure Appartements werden immer schon gern in unmittelbarer Nähe zu gediegen harmlosem Kulturkonsum installiert. Nach vielen mühsamen Auseinandersetzungen etwa über den Palast der Republik oder Mediaspree ist der Kreativenszene aber eine entscheidende Diskursverschiebung gelungen: Weg vom Konsum und hin zur Produktion. Denn schließlich müssen Kultur und Kreativität irgendwoher kommen – am besten aus der Berliner Stadt-Fabrik, wie früher Autos aus Sindelfingen. Damit wurde klar: das Wilde und Raue, die Freiräume und billigen Mieten, das Unfertige und Heterogene charakterisieren nicht nur die Stadt, sie sind wichtige Produktionsmittel, die es tunlichst zu erhalten gilt. Zusammen mit den vielfältigen sozialen Milieus der Stadt, quasi als Human Resources der Berlin GmbH.

„Der kulturelle, soziale und ökologische Reichtum der Stadt wird als das wesentliche Kapital der Stadt anerkannt und im Verhältnis zu seiner gesellschaftlichen Wertschöpfung bewertet“, heißt es zum Beispiel im Positionspapier der Initiative Stadt Neudenken. Das war das eigentlich Geniale: eine Vision sozialer Inklusion wurde unmittelbar verknüpft mit ökonomischen Argumenten. Die Künstler, Kreativen und Klubbetreiber waren auf einmal mittendrin, mit dem Rest der Stadt für immer glücklich im Zentrum vereint.

Allein, Berlin wäre nicht Berlin, machte die Politik das offensichtlich Vernünftige. Zwar fehlte es nicht an offiziellen Sympathiebekundungen. Aber leider, angesichts der angespannten Haushaltslage, wenn es ernst wurde, gab es immer schon geheime Verträge oder irgendeinen Investor, der im übergeordneten Interesse noch schnell was hinklotzen musste. Irgendwann muss den Kreativen klar geworden sein, dass im Großen Ähnliches gilt wie in den Hinterhofökonomien der nuller Jahre: manchmal hilft nur Cash. Beziehungsweise Investment. Und so wurde plötzlich gegründet und geplant, geboten und gekauft, verwandelten sich Kreative immer öfter in Projektentwickler, die das Spiel mitspielten, natürlich nur widerstrebend und mit anderen Motivationen als der gemeine Investor. Denn die ursprünglichen Argumente für ein vielfältiges und raues Berlin behielten sie bei. Die Kreativen begründeten eine Art Gutunternehmertum, dessen private Vision bis heute spielend synonym mit den öffentlichen Interessen zu sein scheint.

Eine Vision des städtischen Miteinanders präsentieren die Holzmarkt-Leute in ihrem Image-Clip. Zu ihrem geplanten Komplex an der Spree soll eine Disco am Rand genauso gehören wie ein Technologiezentrum, auch Hotel, Studentenwohnheim und Kindergarten finden ihren Platz. Im Zentrum erstreckt sich eine Dorfstraße, wo kleinteilig Friseure und Grafiker, Musiker oder Bäcker in trauter Eintracht werkeln, um danach gut gelaunt im Mörchenpark die Beete zu pflügen. „Eine Zusammenkunft von verschiedensten Menschen von jeglicher Art, von jeglichem Stil“ wird hier versprochen, eine Welt, in der sogar die Schlüssel lächeln. Es ist eine Vision, die so aussieht wie das Best-Of einer westdeutschen Kleinstadt, nur ohne Kehrwoche und nervige Nachbarn.

Ebenda liegt aber auch das Problem. Denn indem sie plötzlich Vermarkter ihrer eigenen Ideen geworden sind, unterliegen die Gutunternehmer den Regeln des Marktes. Der verlangt keine komplexen Visionen, sondern eindeutige Angebote. Kultur und Kreativität, das schon, aber keine Verhandlung von Vielfalt, sondern lieber die klar umrissenen Ideen einer kleinen Gruppe – urbane Dörfer eben. „Wir wollen kulturellen Mehrwert schaffen und die Stadt so beleben, wie wir es für richtig halten“, hat Christoph Klenzendorf, einer der Initiatoren des Holzmarktprojekts, gesagt. Man will die Stadt beleben, noch immer mit dem Anspruch der großen Vision, auch wenn diese oft nur noch ein kleines Plätzchen im Gesamtpaket erhält.

Für die Politik ist das ein Glücksfall. Denn ging es ursprünglich auch um unangenehme Fragen, nach Verteilungsgerechtigkeit beispielsweise oder um das Recht auf Stadt, bieten die Gutunternehmer nun ein bereinigtes Produkt. Sie eignen sich für die Politik perfekt, Verantwortung für die Stadt zu demonstrieren, ohne dafür auch nur ein bisschen mehr geben zu müssen als laue Unterstützung. Kein Wunder, dass praktisch alle interessanten Stadtentwicklungsprojekte der letzten Zeit aus der kreativen Ecke kommen. Was aber eben auch bedeutet, dass mit jedem dieser Projekte eine andere Perspektive in der Innenstadt keinen Platz mehr finden wird, eine migrantische beispielsweise oder eine ökonomisch benachteilige.

Natürlich sind sich die Gutunternehmer dieses Dilemmas wohl bewusst, und umso expliziter wird das Soziale ihrer Projekte. Gemeinnützige Stiftungen werden da beherbergt oder wohltätige Einrichtungen, es gibt günstige Projekträume für Non-Profit-Organisationen, integrative Kindergärten oder genossenschaftliches Wohnen. Und natürlich ist alles 1A Bio, selbstverständlich wird rund um die Kreativarchitekturen selbst gegärtnert. Kurz, alles ist viel besser als beim Investor nebenan. Und doch, es bleibt ein Hauch von Social-Greenwashing.

Denn was es wirklich bedeutet, wenn der soziale Gehalt nur ein Programmpunkt unter vielen ist, das wird schon in der Bildsprache der Werbebildchen deutlich, bei der Aufbau-Haus-Erweiterung am Moritzplatz zum Beispiel. So könnte es aussehen, sagen diese Bilder, und zeigen, dass sich die Kreativen gut etabliert haben am Platz. Von der heutigen Bevölkerung ist allerdings nichts zu sehen, und auch nicht vom Aldi, der sich derzeit im Haus rechts neben dem geplanten Neubau befindet. Der wurde einfach wegretuschiert, „Gentrifizierung virtuell“ könnte man das nennen. So wird auf der Bildebene vorausschauend am Moritzplatz vollzogen, was in Mitte längst passiert ist. Schon 2008 zeigte eine Studie des Bezirks für Kreuzberg ähnliche Tendenzen zur Verdrängung. Diese Entwicklung dürfte sich mit homogenen Mittelklasse-Fantasien wie den Quartieren am Blumengroßmarkt und am Holzmarkt eher noch verstärken. Vielleicht schon bald wird die arbeitslose Jugendliche vom Mehringplatz oder der DDR-Rentner aus der benachbarten Platte es schwerhaben, noch Platz in der Gegend zu finden.

Natürlich können die Kreativen nicht leisten, was eigentlich Aufgabe der Politik wäre. Und doch stellt sich die Frage nach der Verantwortung, wenn eine partikulare Gruppe mehr als alle anderen von der Instrumentalisierung des Vielfaltsdiskurses profitieren kann. Es ist die Frage nicht nach sozialer, sondern nach städtischer Verantwortung. Danach, auch jenseits der eigenen Interessen an einer Stadtidee zu arbeiten, in der alle ihren guten Platz haben.

Niemand verfügt dafür über ähnlich gute Mittel wie die Gutunternehmer: soziales Kapital und Zugang zur Politik, ästhetische und kommunikative Fähigkeiten und die Offenheit, sich auf ganz unterschiedliche Milieus einzulassen. Gelänge es ihnen, wieder aufzutauchen aus ihrem Projektentwickleralltag, dann könnten sie wirklich etwas beitragen zu einer anderen Stadt – jenseits der braven Neo-Bürgerlichkeit, die ihnen der Staat zuweist, weil er sich selbst aus der Planung verabschiedet hat.