Die kleine Wortkunde

In Hamburg und Köln ist der Bürger ein KUNDE: Bürgerämter heißen dort „Kundenzentren“, was angeblich einen freundlicheren Eindruck erwecken soll. Ob die Kunden und damit die Bürger in diesen Städten nun alle Könige sind? Wenn, dann haben wir die Inthronisierung wohl verpasst. Auch Ämter-Bonuspunkte zum Sammeln oder besser noch „2 Personalausweise zum Preis von einem“ bleiben wohl ein Traum. Stattdessen mag man sich ein wenig wundern, welch ein Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft hier suggeriert werden soll: vom mündigen Mitglied der Gemeinschaft zum potenziellen Marktforschungsobjekt?

Die französische Staatsphilosophie kennt zwei Wörter für Bürger: den „citoyen“, der seine Entscheidungen nach dem Gemeinwohl ausrichtet, und den „bourgois“, der – wie der Kunde – gemäß seinen Interessen wählt. Ein „Kunde“ ist in der Regel eine Person oder eine Firma, die den Kauf einer Ware oder Dienstleistung beabsichtigt. Im weitesten Sinne kann man Wohnsitz-Anmeldungen oder Ausweisanträge vielleicht als besondere Art der Dienstleistung auffassen – eben eine, zu der man gesetzlich gezwungen ist.

Das Wort „chundo“ bedeutete im Altdeutschen „Bekannter“ oder auch „Einheimischer“. In diesem Sinne schmückt sich das Bürgeramt nicht zu Unrecht mit dem Begriff, oder haben Sie an diesem Ort schon mal Mitarbeiter getroffen, die etwas anderes sprechen als Deutsch?

Den Städten Jena, Freiburg und Oldenburg ist es übrigens gelungen, beides – emanzipierte Bürgerschaft und Kosten-Nutzen-Kunden-Mantra – zu vereinen: Meldeämter heißen dort „Bürgerservice“. MARLENE STAIB