Notmalzeit
: HELMUT HÖGE über Obdachlose

Nur zu Weihnachten bekommen sie noch Aufmerksamkeit

Während der Suppenküche der „Arche“ in Marzahn die Mittel gekürzt wurden – und eine PDS-Stadträtin deswegen zurücktreten musste –, bekam die Obdachlosen-Wärmestube „Arche“ in Treptow jetzt sogar mehr Geld von der zuständigen PDS-Stadträtin bewilligt. Zuvor wollte sie diese Einrichtung, zu der auch noch eine „Nacht-Café“ genannte Wohnung gehört, ebenfalls schließen.

Dort arbeitet der Schriftsteller Karsten Krampitz, der anfänglich bei mehreren Obdachlosenzeitungen engagiert war. „Bei uns sind regelmäßig etwa zwölf Männer und zwei bis drei Frauen. Der einen ist die Wohnung abgebrannt und sie will keine neue haben, weil sie einfach nicht noch einmal wieder von vorne anfangen mag. In ein Frauenhaus will sie aber auch nicht. Andere Frauen sind nur deswegen nicht richtig obdachlos, weil sie immer bei jemandem anderen schlafen. Das ist so eine Art Mitwohnprostitution. Für Frauen gibt es jedoch mehr und bessere Hilfsangebote als für Männer.“

Wegen des Wohnungsleerstands können die Sozialämter allen Obdachlosen ein Dach überm Kopf anbieten. „Deren Problem ist aber nicht die Wohnungslosigkeit, der Hunger oder der Winter. Krankheiten, Alkohol, Hitze, die zunehmende Gewalt auf der Straße – sind genauso schlimm. Wenn ein Obdachloser eine Wohnung bezieht, kann man oft die Uhr danach stellen, wann er wieder auf der Straße oder in Notübernachtungen pennt. Die Obdachlosigkeit ist vor allem ein seelisches Problem. Ihre ganzen sozialen Kontakte haben diese Menschen auf der Straße. Anfangs werden die Kumpel und Kumpelinnen noch in die neue Wohnung eingeladen. Nachdem sie die Stütze versoffen haben, beginnt aber die Einsamkeit: Die Bude verkommt, der Müll türmt sich. Und irgendwann ziehen sie wieder los. Die meisten Obdachlosen sind Männer. Sie suchen verzweifelt Kontakte, treffen sich mit anderen am Kiosk oder im Bahnhof, pennen mal hier mal dort und irgendwann sagen sie sich: ‚Ich brauch meine Wohnung – diesen Saustall – doch eigentlich gar nicht.‘ Man gibt einem Menschen noch kein Zuhause, wenn man ihm eine Wohnung zuweist. Deswegen brauchen Obdachlose eher eine Wohngemeinschaft mit Betreuung. Die gibt es zwar, aber meistens nur für Jugendliche. Wer als unbehauster Mann in Berlin über 18 ist, hat schlechte Karten.“

Natürlich gibt es auch Obdachlose, die gerne ‚Platte machen‘, das heißt irgendwo draußen leben – so wie der kürzlich verstorbene Burkhard (Ingo) Horstmann, ein 1981 in den Westen abgeschobener Rostocker, der über zwölf Jahre neben dem U-Bahnhof Kottbusser Tor kampierte. Die Treptower Arche suchte er nur selten auf, so dass Karsten Krampitz ihn kaum kannte. Ingo erfror nicht, er starb eher an der zunehmenden Gleichgültigkeit: „Obdachlosigkeit interessiert keine Sau mehr. Dazu haben auch die vielen Obdachlosen-Zeitungen beigetragen – mit ihrem ewigen Gejammer. Ich meine jetzt nicht die Verkäufer, die haben schon immer geklagt, sondern die Redakteure, weil sie ewig die gleichen langweiligen Artikel bringen und weil sie Etikettenschwindel betreiben: Sie suggerieren den Lesern, dass die Zeitung von und für Obdachlose gemacht wird. Tatsächlich sind das aber alles Premiumpenner, das heißt extrem schlechte Journalisten, die da ihre Spielwiese haben, während sich die Herausgeber – also die jeweiligen Obdachlosen-Vereinsvorstände – damit eine goldene Nase verdienen.“

Und weil die Käufer das merken, verkaufen sich diese Zeitungen immer schlechter: „Um die ist es nicht schade, nur ist der Begriff ‚Selbsthilfe‘ damit hier auf lange Zeit diskreditiert worden. Und leider werden auch seriöse Obdachlosenprojekte davon in Mitleidenschaft gezogen. Die Spendenbereitschaft ist insgesamt merklich zurückgegangen. Den Personalbedarf decken wir teilweise durch die Jugendgerichtshilfe ab: Straffällig gewordene Jugendliche leisten bei uns in der Küche ihre gemeinnützigen Stunden ab. Und das Essen beziehen wir schon seit Jahren aus dem Abschiebeknast Grünau – 30 Mahlzeiten täglich, kostenlos und tiefgefroren. Dort treten immer wieder Insassen in einen Hungerstreik, so dass sie da anscheinend immer genug Portionen übrig haben.“