Gerüstet gegen die Holzfäller

„Die Leute können von mir alles haben, wenn es sein muss über Monate. Und wenn es so weit ist, bin ich auch im Wald“

AUS SCHINVELD HENK RAIJER

Weihnachtszeit ist Schonzeit. Wie zum Feierabendappell haben sich in der Ferne neun graue Maschinen mit dem markanten Pilz auf dem Rücken vor dem unscheinbaren Tower aufgereiht. Hinter dem doppelten Drahtverhau geht eine Wache mit einem Schäferhund auf und ab. Kein ohrenbetäubender Lärm stört heute, wie an anderen Tagen mehrmals, den Frieden der Besetzer im Waldstück jenseits des Weges, der hier unweit der Startbahn die Grenze zu Holland bildet.

Über eine matschige Schneise schliddern Cor und Bep Boonman, er in grünen Stiefeln, sie in Snowboots, durch den Birkenwald zum Camp. „Fünfundzwanzig Jahre lang haben wir die Rodung des Waldes aufhalten können“, sagt Cor Boonman, ein hagerer Rentner aus dem benachbarten Schinveld. So lange eben, wie die Nato die Awacs-Basis drüben auf der deutschen Seite betreibe. „Aber jetzt, wo es ernst wird, lassen die meisten Dorfbewohner die jungen Leute die Drecksarbeit machen“, so Boonman. „Ich bewundere sie für ihren Mut und ihre Ausdauer“, ergänzt seine Frau, während sie fröhlich lachend links und rechts des Pfades einige der gut 20 Aktivisten von „GroenFront!“ begrüßt, die seit mehr als drei Wochen in einem Waldstück am westlichen Ende der Startbahn von Geilenkirchen kampieren.

So wie hunderte Einwohner der Orte Brunssum und Schinveld im Südosten der Niederlande schauen Cor und Bep Boonman alle paar Tage bei den Öko-Aktivisten vorbei, schleppen Baumaterial, warmes Essen oder Wolldecken herbei. An diesem sonnigen zweiten Weihnachtstag gibt’s Wein und Braten statt Lärm und Kerosin. „Wenn der Tag X kommt und die Polizei das Lager räumen will, seilen sich die Leute in ihre Baumhütten hoch, und die sind durch Dschungelbrücken miteinander verbunden“, erklärt Nico Trommelen jedem Passanten, der es hören will, in einem Deutsch, das stark von der Melodie seiner Heimatprovinz Limburg geprägt ist. „Da werden die sich nicht trauen, mit der Rodung zu beginnen“, sagt der gemütliche Mittvierziger, der seinen Bauernhof im nahen Brunssum selten ohne grauen Filzhut verlässt.

Nico Trommelen kommt jeden Tag hierher, versorgt die jungen Umweltschützer mit Brennholz und Wasser, lässt sie bei sich zu Hause duschen und wäscht sogar ihre Klamotten. Nach dem Melken sitzt er auch schon mal bis tief in die Nacht am Lagerfeuer und diskutiert über die drohende Rodung der Bäume in dem sechs Hektar großen Waldstück, die angeblich wegen ihrer Höhe ein Sicherheitsrisiko für die startenden Awacs-Maschinen darstellen. Als Hollands oberstes Gericht am 2. Dezember die Klage der Gemeinde Onderbanken, zu der die lärm- und kerosingeplagten Orte Brunssum und Schinveld gehören, gegen den geplanten Frevel abwies, bezogen die Aktivisten von GroenFront! ihre Stellung im Wald. Sie wollen bleiben, „bis die Sache vom Tisch ist“.

Sechs Hektar Wald soll auf Wunsch der Nato vollständig gerodet, und auf weiteren 40 Hektar sollen die Bäume bis auf einen Meter Höhe gestutzt werden, damit die Awacs-Flieger in Zukunft mit vollen Tanks aufsteigen können, anstatt in der Luft aufgetankt zu werden. Hans Ubachs gehört zu denen, die der Nato seit Jahren auf der Nase herumtanzen. Der Lokalpolitiker hat die aufmüpfige Gemeinde Onderbanken im Awacs-Streit in den Kampf geführt. „Fragen Sie mich lieber nicht nach meiner Meinung als Privatmann“, sagt Ubachs, der wie schon in den Tagen zuvor in den Wald gekommen ist, um den Besetzern seine Solidarität zu versichern und was zu essen zu bringen. „Das ergangene Urteil, das Hollands Umweltministerin erlaubt, den Widerstand unserer Gemeinde zu brechen und die Räumung anzuordnen und durchzuführen, ist, sagen wir mal, ‚enttäuschend‘ “, erklärt er dann als Politiker. Als ultimatives Mittel, anrückende Holzfäller in ihrem Tatendrang zu bremsen, plante die Stadtverwaltung noch letzte Woche ein Eingreifen der Polizei, weil ihrer Ansicht nach das Haager Verteidigungsministerium als Auftraggeber eine Rodungsgenehmigung brauche. Doch das kurzfristig angerufene Gericht wiegelte ab; eine Genehmigung sei laut Urteil vom 2. Dezember nicht erforderlich. „Das Ministerium macht, was es will, das kennen wir ja“, macht Ubachs seinem Frust Luft. „Aber wenn es darum geht, dieses Urteil umzusetzen und räumen zu lassen, braucht man auf uns nicht zu zählen“, sagt er. „Da machen wir nicht mit!“

Ubachs, ein grauhaariger Mittvierziger in Jeans und Gummistiefeln, ist wie viele Anrainer der Nato-Airbase aktives Mitglied des Vereins „Stop Awacs Overlast“, der sich seit Jahren gegen die Rodungspläne wehrt. Die rührigen Zivilisten aus Holland machen der Nato und der deutschen Nachbargemeinde Geilenkirchen den Vorwurf, eine Alternative – die Verlängerung der Start-und-Lande-Bahn um 250 Meter nach Osten – gar nicht erst in Betracht zu ziehen, dafür aber ein Naturschutzgebiet jenseits ihres Hoheitsgebiets leichtfertig zu opfern. Das Kostenargument vonseiten der deutschen Kollegen lässt Ubachs nicht gelten, schließlich profitiere Geilenkirchen von den Abermillionen Euro, die die Nato jährlich in die strukturschwache Region pumpt. „Die haben den Nutzen, wir den Lärm“, wütet Ubachs, der damit unterschwellig zum Ausdruck bringt, dass es im Awacs-Streit nicht nur um Bäume geht.

In Schinveld verstehen Schüler ihre Lehrer nicht mehr, in Brunssum fliehen Asthma-Patienten im Sommer aus ihren Vorgärten, Operationen werden für Minuten unterbrochen, weil die Chirurgen ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen – seit 25 Jahren traumatisiert die Nato-Basis Geilenkirchen Anwohner auf beiden Seiten der Grenze. „Das stinkt wie die Hölle jedes Mal, wenn die Scheißflieger hier hochziehen“, weiß Gert Weitze. Der 64-jährige gebürtige Erfurter lebt seit 1988 im benachbarten Übach-Palenberg und leidet wie zehntausende in der Region unter dem täglichen Lärm und den Kerosinrückständen. „Die Bäume haben doch früher nicht gestört“, meint Weitze. Erst nach dem Mauerfall, als die Sache mit Afghanistan und dem Irakkrieg der Amis losging, sei das für die Nato plötzlich zum Sicherheitsrisiko geworden. Weitze glaubt, dass die Nato-Basis trotz der geplanten Rodung im Grunde bereits vor der Schließung stehe. „Geilenkirchen macht seit Ende des Kalten Krieges doch gar keinen Sinn mehr für die Awacs-Aufklärung. Die Amis planen mit Sicherheit längst eine Verlagerung nach Griechenland oder Rumänien“, spielt er auf die jüngsten Gespräche von US-Außenministerin Condoleezza Rice in Bukarest an.

„Geilenkirchen macht seit Ende des Kalten Krieges doch gar keinen Sinn mehr für die Awacs-Aufklärung“

Wie Dutzende Anwohner aus Schinveld oder Brunssum vor und nach ihm an diesem Tag bringt Weitze den jungen Aktivisten warmen Kaffee, Milch und Schokolade. „Täglich kommen Frauen aus dem Ort und stellen Behälter mit heißem Wasser oder eine Suppe an die Straße, andere spenden Wolldecken“, lobt Rutger, der amtierende Pressesprecher der GroenFront!-Aktivisten, das Engagement der Dorfbewohner. „Die Hilfe, die von den Leuten aus den Nachbargemeinden kommt, hält uns definitiv bei der Stange in dieser Saukälte“, sagt der Endzwanziger mit dem Kurzhaarschnitt, während er einer jungen Kollegin zeigt, wie man in Windeseile eine Kletterausrüstung anlegt. Sie baut in zehn Metern Höhe eine Baumhütte, die als Küche dienen soll, wenn es so weit ist. Zehn solcher Hütten sind es inzwischen, möglichst viele sollen folgen.

Rutger, der bis auf zwei, drei Tage ununterbrochen im Wald übernachtet hat, geht davon aus, dass bis Silvester keine Räumungsgefahr droht, mag aber nicht ausschließen, dass die Polizei in der ersten Januarwoche anrücken wird, um den Wald komplett abzuriegeln und anschließend die Hüttenbewohner zu vertreiben. „Wenn sie uns vorne aus dem Wald jagen, müssen sie schon sofort mit den Rodungsarbeiten beginnen, sonst sind wir in derselben Nacht wieder hier“, sagt der junge Mann und zieht kräftig an seiner verglühenden Kippe. Gewaltlos, versteht sich, schließlich habe man einen Ruf zu verlieren.

Der GroenFront!-Aktivist hofft, dass sich möglichst viele Leute aus Brunssum und Schinveld zur „Waldbegehung“ einfinden werden, wenn sie über das interne Alarmsystem vom „Überfall“ erfahren. Und dass einige von ihnen auch in die Bäume klettern. „Je mehr Leute da oben sind, desto schwieriger wird es für die Polizei“, weiß Rutger aus Erfahrung. Er ziehe, wie er betont, den Hut vor dem Mut der Bevölkerung, die sich seit Jahren der Regierung in Den Haag widersetze. Auch wenn es vielen womöglich weniger um den Wald als um die Basis als solche gehe. „Aber die Nato kriegst du so schnell eh nicht weg, die anstehende Rodung hingegen ist ein ganz konkretes Ärgernis.“ Zugleich bedauert Rutger das Fehlen einer Unterstützung von deutscher Seite. „Die müssen das dort wohl erst mal ausdiskutieren“, sagt er mit einem Schmunzeln. „Da haben wir hier eine andere Protestkultur.“

Nico Trommelen wendet seinen Trecker auf der schmalen Grenzstraße am Flughafenzaun und kippt die zweite Ladung Brennholz des Tages ins Gebüsch. „Die Leute können von mir alles haben, wenn es sein muss über Monate“, sagt der Bauer. „Und wenn es so weit ist, bin auch ich im Wald dabei.“ Bep und Cor Boonman zögern noch. Beide machen seit Jahren bei „Stop Awacs Overlast“ mit. Konkreter Widerstand wie der von GroenFront! jedoch sei für sie Neuland, passe wohl nicht so gut zur Mentalität der Leute im Süden. „Wir müssten uns mehr trauen, mehr kämpfen“, sinniert Bep Boonman und wischt sich den Schlamm von den Stiefeln.