„Das war ein zehn Jahre dauernder Prozess“

BEISPIELHAFT Als 2008 die Frauenquote in Norwegen eingeführt wurde, sei die Aufregung groß gewesen, sagt die Soziologin Mari Teigen. Heute seien viele Männer überrascht, wie viele brillante Frauen es gibt

■ Die Soziologin ist Forschungsleiterin am Institut für Sozialforschung (Institutt for Samfunnsforskning) in Oslo (Norwegen).

taz: Frau Teigen, Norwegen hat schon seit 2008 eine Frauenquote von 40 Prozent in Verwaltungsräten von Aktiengesellschaften. Wie haben Sie das hingekriegt?

Mari Teigen: Es gab eine starke Feindseligkeit in der Diskussion um dieses Quotengesetz. Es gibt immer noch die Meinung, dass es falsch ist, den Unternehmen vorzuschreiben, wen sie in die Verwaltungsräte (eine Mischung aus Aufsichtsrat und Vorstand, d. Red.) wählen sollen. Zur gleichen Zeit haben die Unternehmen aber auch realisiert, dass sie ihre Führungskräfte nicht nach objektiven Kriterien aussuchen, dass sie sich in ganz alten festgefahrenen Schienen bewegen. Sie sahen, dass sie qualifizierte Kandidatinnen vernachlässigt hatten. Es war eine Art Learning by Doing.

Durchgesetzt hat die Quote in Norwegen ein konservativer Wirtschaftsminister. Wie wichtig war das für den Erfolg?

Die internationale Presse meint immer, dass dieser Minister eines Morgens aufwachte und die brillante Idee hatte, die Räte gerechter zu besetzen. So war es nicht. Das war ein zehn Jahre dauernder Prozess, den das Ministerium für Geschlechtergleichheit angestoßen hat. Aber natürlich war der Wirtschaftsminister sehr wichtig. Weil er konservativ war und sich gegen die Bedenken der Wirtschaft durchsetzen konnte.

Warum ist ausgerechnet ein konservativer Minister für die gesetzliche Quote?

Ich glaube, er hatte eine doppelte Agenda: Er dachte, dass Diversity und also auch mehr Frauen den Unternehmen guttut. Aber er hatte auch den Eindruck, dass die norwegische Wirtschaft unbeweglich geworden war durch einen sehr kleinen Club von Männern, einem Old Boys Network, das nur noch Posten untereinander verteilte. Er wollte da etwas durchlüften.

Was war das wichtigste Argument, um konservative Politiker zu überzeugen?

Das Killerargument war, dass die Quote gut fürs Geschäft ist. Ich habe das Argument für schwach und sehr gefährlich gehalten. Was, wenn es einen Abschwung gibt, kaum dass ein paar Frauen auf den Posten sitzen? Was wäre gewesen, wenn wir von der Krise stärker betroffen gewesen wären als Schweden? Zum Glück ist das nicht passiert.

Gab es überhaupt einen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung?

Ich würde sagen, die politischen und sozialen Effekte sind sehr viel stärker als die ökonomischen. Das Bewusstsein dafür, dass man Frauen in den Führungsetagen Türen öffnen muss, um deren Talente nutzen zu können, ist mittlerweile sehr verbreitet. Wir haben auch die Aufsichtsräte direkt gefragt, welchen Unterschied sie erleben. Die große Mehrheit sagte: Es gibt keinen Unterschied. Was angesichts der Befürchtungen, die im Vorfeld geäußert wurden, ziemlich bemerkenswert ist. Und die erfahrenen männlichen Mitglieder sagten, sie seien tatsächlich zuvor blind für Frauen gewesen und nun ganz überrascht, dass es so viele brillante Frauen gibt.

Fühlen sich die Männer diskriminiert? Sie rennen sich die Lunge aus dem Leib nach guten Jobs. Und die Frauen bekommen einfach ein Taxi in die Topetage.

Sicher gibt es Männer, die sich diskriminiert fühlen. Aber es war so ähnlich wie beim Rauchverbot in Restaurants. Erst regen sich alle furchtbar auf. Danach: nichts mehr.

Glauben Sie, dass die Menschen die Quote vielleicht doch auch für gerecht halten?

Ich weiß nicht. Aber auf jeden Fall sehen sie, dass die Frauen nicht so dumm sind, sondern generell eher höher qualifiziert sind als die Männer. Dass sie sich gründlich auf die Sitzungen vorbereiten. Dass es also keine Schnapsidee war, sie in die Aufsichtsräte zu berufen.

Die Frauen sind besser qualifiziert als die Männer?

Ja, das ist eine Altersfrage: Die älteren Männer sind einfach noch nicht so gut ausgebildet worden. Die Fachrichtungen sind sehr ähnlich: Die meisten haben Wirtschaft studiert. Etwas mehr Männer haben Naturwissenschaften studiert und etwas mehr Frauen Jura. Das war’s.

In Deutschland haben viele Frauen Angst, dass sie bloß als Quotenfrauen wahrgenommen werden und ihre Qualifikation nicht geachtet wird. War das in Norwegen auch so?

Jede Frau in einem männerdominierten Feld kann nicht wissen, ob sie eine Quotenfrau ist oder nicht. Das ist immer so, wenn jemand etwas gegen die Tradition tut. Was viel wichtiger ist im Geschäftsleben: Wenn du eine Chance bekommst, dann nutze sie. Woher die Chance genau stammt, ist völlig unerheblich. So sehen es meines Erachtens die meisten Frauen im norwegischen Geschäftsleben.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH