: Des Kermits neue Kleider
Bei seinem Konzert in der Kulturbrauerei trug der einstmals schrille Daniel Küblböck ein neues Gewand: den schwermütigen Deutschrock. Dass der ihm nicht besonders gut stand, bekamen die Fans und deren Großmütter in ihrer Jubellaune nicht mit
VON DAVID DENK
Über der Bühne im annähernd ausverkauften Kesselhaus der Kulturbrauerei hängt ein großes Kruzifix, wie es in jedes gute bayerische Klassenzimmer gehört. Von dort, aus dem niederbayerischen Eggenfelden und aus der Berufsschule, zog 2002 ein junger Mann von gar schriller Gestalt aus, um Deutschlands Superstar zu werden. Den Titel holte schließlich ein anderer – doch wem erzähl’ ich das? Daniel Küblböcks Geschichte ist ja durch Bild, BamS und Glotze hinlänglich bekannt.
Proportional zur Berichterstattung über ihn stieg nicht nur die Zahl von Daniels Fans, die sich doch tatsächlich „Faniels“ nennen, sondern vor allem die Zahl seiner Feinde, die gebetsmühlenartig immer die gleichen Vorurteile wiederholen: Er könne nicht singen, sei von eher schlichtem Gemüt, und wer ohne Führerschein in einen Gurkenlaster, ausgerechnet einen Gurkenlaster, rast, der könne sie doch nicht alle haben. Daraus haben sich die Faniels eine komfortable Verschwörungstheorie gezimmert, die sie in ihrem Zentralorgan „Im Endeffekt“ kultivieren. Eine Karen aus Backnang zum Beispiel schreibt: „Ich würde VIVA, MTV, Bild samt den Moderatoren der Boulevardsendungen ins Verlies sperren, bei Wasser und Brot. Erst wieder freilassen, wenn sie dem Multitalent Daniel Küblböck den verdienten Respekt entgegenbringen.“ Dass ihr Held ein von genau diesen Medien gemachtes und ganz gut verdienendes Kunstprodukt ist und kein Märtyrer, kommt im Faniel-Weltbild nicht vor.
Auch Küblböck selbst verleugnet seine Künstlichkeit nach besten Kräften und versucht derzeit, sich neu zu erfinden. Schrill und peinlich war gestern, heute soll lässig und cool sein. Dazu trägt Daniel Küblböck ein neues Gewand, und das heißt Deutschrock. Es steht ihm nicht besonders. Beim Konzert in Berlin wirkt seine nur aus schalen Schülerband-Posen bestehende Performance total entkoppelt vom frenetischen Jubel seiner Fans – schließlich haben die schon die ganzen Anfeindungen mit ihm durchgestanden, den Imagewechsel – und 59,90 Euro für die Konzertkarte bezahlt.
Die auf Daniel Küblböcks neuem Album mit dem von diffusem Sendungsbewusstsein strotzenden Titel „Liebe Nation“ zur Schau gestellte Schwermut biedert sich an – diesmal eben an die dunklen Kammern pubertärer Seelennöte. „Vielleicht kennt ihr das ja auch“, sagt er den Song „Ich hass mich“ an, „diese depressiven Phasen, wenn man das Gefühl hat, dass man sich selbst nicht mag.“ Die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten: „Ich mag dich!“ kreischt es aus 700 Halbwüchsigen und deren Omis, die wahrscheinlich noch nicht mal ihren besten Freundinnen verraten haben, wo sie den Dienstagabend verbringen.
Daniel Küblböck hat leichtes Spiel mit dem Berliner Publikum. Zur Begrüßung schreit er: „Berlin ist einfach die geilste Hauptstadt der Welt!“ Dieser unfassbare Schleimscheißer-Satz bleibt leider kein Einzelfall – „geil weggehen“ kann man in Berlin schließlich auch, und die Fans müssen das erfahren. So viel Liebeswerbung – da scheint die Abwendung des Dieter Bohlen immer noch posttraumatisch nachzuwirken.
Trotz augenscheinlicher Fanverlustangst hat sich Daniel Küblböck für seine Deutschrock-Ambitionen einen traurigen One-Hit-Wonder-Paten genommen: Matthias „Verdammt ich lieb dich“ Reim. Stimmlich nämlich hat sein Auftritt nichts mehr gemein mit dem kermitgleichen Gequietsche der Anfänge: Dank großzügig bemessenem Basshall singt Daniel Küblböck heuer aus den Tiefen einer Gruft – er fühlt sich wohl verpflichtet, dem Bühnenkreuz einen Daseinsgrund zu liefern. Würden nicht die Faniels laut und deutlich mitsingen, würden einem durch die Aussteuerung doch tatsächlich Zeilen wie „Du bist die Ebbe, ich bin die Flut“ entgehen. Bei einem soll es wohl trotz aller Veränderungswut bleiben: Der Backfisch-Flüsterer Küblböck scheint sich weiterhin einer gewissen Schlichtheit verbunden zu fühlen.
Nach zwei Stunden Konzert gibt es Geschenke für Daniel – brav harren die Präsentbringer in langer Schlange. Bei jeder Übergabe lässt sich der Beschenkte busseln, gibt das Bekommene an eine persönliche Assistentin weiter, die es wiederum weiterreicht – an einen großen Pappkarton von Obi.
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