Versager vor Ort

Eine Duma-Kommission zur Untersuchung der Geiseltragödie von Beslan schiebt die Schuld auf lokale Behörden ab

VON KLAUS-HELGE DONATH

Sechzehn Monate untersuchte der Beslan-Ausschuss der Duma die Hintergründe der Geiseltragödie im nordossetischen Beslan. Präsident Wladimir Putin hatte den Untersuchungsausschuss wenige Tage nach dem Blutbad im September 2004 angeordnet. Ein erster Bericht war für dieses Frühjahr angekündigt worden, wurde aber wegen heikler Erkenntnisse über das Versagen der staatlichen Stellen mehrfach verschoben. Gestern stellte der Ausschussvorsitzende Alexander Torschin „erste vorläufige“ Ergebnisse dem Föderationsrat, der zweiten Parlamentskammer, vor. „Wenn die Sicherheitskräfte den Anweisungen zur Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen gefolgt wären, hätte der Terrorakt verhindert werden können“, sagte Torschin. Die Behörden hätten sich eine ganze Reihe von „Verstößen und Versäumnissen“ zuschulden kommen lassen. Als Beispiel hebt der Bericht die Falschangaben über die Zahl der gefangenen Geiseln hervor. Obwohl wenige Stunden nach Beginn des Überfalls die Zahl von über tausend Geiseln bekannt war, wurde weiterhin die offizielle Version von 354 angegeben.

Auffallend ist, dass der Bericht die Verantwortung allein den regionalen Behörden im Kaukasus zuschiebt. Die Rolle des föderalen Geheimdienstes, der Armee und der Administration des Kreml werden zumindest in der öffentlich zugänglichen Version keiner Kritik unterzogen. Genau darin sahen die Hinterbliebenen in Beslan und Kritiker in Moskau von Anfang an auch die Aufgabe der Kommission.

Im November legte ein unabhängiger Ausschuss aus Abgeordneten des nordossetischen Parlaments einen eigenen Bericht vor, der wesentlich tiefere Einblicke bietet. Der Ausschussvorsitzende Stanislaw Kesajew war deswegen von der russischen Staatsanwaltschaft mehrfach verunglimpft worden. Föderale Instanzen weigerten sich, der Kommission Auskunft zu erteilen.

Vor der Veröffentlichung wurde erheblicher Druck auf die Kommissionsmitglieder ausgeübt. Sie sollten die Verantwortlichen in Moskau nicht namentlich nennen. Gegen einige Politiker der Republik eröffnete die Staatsanwaltschaft Verfahren wegen Korruption, um sie zum Einlenken zu bewegen.

Kesajew war während der Geiselnahme vor Ort. Er gab zu Protokoll, dass er von Beamten, die sich als Mitarbeiter der Kreml-Administration auswiesen, noch am zweiten Tag des Terroraktes aufgefordert worden sei, keine Angaben zu machen, die den offiziellen Verlautbarungen zuwiderliefen. Das betrifft auch die von der Duma-Kommission nun kritisierte fehlerhafte Angabe der Zahl der Geiseln.

Erst nach anderthalb Tagen ernannte Moskau einen Leiter des Krisenstabes. Nicht etwa einen im Umgang mit Terroristen erfahrenen und hochrangigen Geheimdienstler aus Moskau, sondern einen Beamten des regionalen FSB. Dieser hatte aber keine Befugnisse. Parallel dazu richteten auch aus Moskau angereiste FSB-Vertreter und Kreml-Beamte einen eigenen Krisenstab ein, zu dem Mitarbeiter des regionalen Stabes keinen Zugang hatten. Welche Funktionen der Moskauer Stab innehatte, konnte die nordossetische Kommission nicht ermitteln.

Sie stieß jedoch auf zahlreiche Ungereimtheiten, die die offizielle Darstellung entweder widerlegen oder Zweifel an ihr säen. So gelang es nachzuweisen, dass Flammenwerfer eingesetzt wurden, als sich die Masse der Geiseln noch in der Schule aufhielt. Das Militär stritt dies und den Einsatz von Panzern ab. Inzwischen steht fest, dass der kommandierende General Tichonow die Einsatzbefehle erteilt hat.

Eine Menge Fragen wirft auch der Zeitpunkt des Sturmes auf: Die chaotische Befreiungsaktion begann, kurz nachdem der legitime Präsident Tschetscheniens Aslan Maschadow zugestimmt haben soll, in Beslan mit den Geiselnehmern zu verhandeln. Das hätte seine Rolle in der Öffentlichkeit aufgewertet und wäre den Interessen des Kremls zuwidergelaufen. Im Unterschied zu den Nordosseten will die Duma-Kommission keine Hinweise für eine Vermittlungsrolle des inzwischen ermordeten Präsidenten gefunden haben.