Krise erfasst Sechstageradler

RADSPORT Das Berliner Sechstagerennen ist eines der letzten seiner Art – dank Sparprogramm vom Chef

„Im Osten hat das Rennen Tradition“

HEINZ SEESING, GESCHÄFTSFÜHRER SECHSTAGERENNEN

Heinz Seesing ist 72 Jahre alt. Seit 14 Jahren leitet er die Geschäfte des Berliner Sechstagerennens. Seesing hat noch die große Zeit miterlebt. Damals, bis Anfang der 90er-Jahre, als in Deutschland an nicht weniger als zehn Standorten die Radprofis ihre Runden auf den steilen Holzbahnen drehten – sechs Tage und Nächte lang. Übrig geblieben sind davon nur noch zwei Veranstaltungen, Bremen und Berlin. „Als in diesem Jahr auch noch Dortmund, München und Stuttgart absagten, da wusste ich, jetzt ist die Krise beim Sechstagerennen endgültig angekommen!“, sagt Seesing.

Dass am Donnerstag das Radsportidol Erik Zabel den Startschuss zum 99. Berliner Sechstagerennen im Velodrom geben kann, stand dennoch nie in Frage. „Wir haben immer gut gewirtschaftet und den Sport in den Mittelpunkt gestellt. Das zahlt sich nun aus“, sagt Seesing nicht ohne Stolz. Er hatte sich frühzeitig abgesetzt von den anderen Sechstageveranstaltern, die aufgeben mussten. Deren Programm hätte längst den Charakter „einer Oben-ohne-Veranstaltung“ angenommen, wie Seesing das umschreibt, was sich in Dortmund und anderswo rund um die Kurven abspielte.

In Berlin, sagte Seesings feines Gespür, kommt man mit einem solchen Unterhaltungsschwerpunkt nicht weit. Das Publikum der Hauptstadt sei überaus fachkundig, radsportbegeistert und kritisch. „Zu 70 Prozent kommen die Fans aus dem Ostteil der Stadt oder den angrenzenden Bundesländern. Da hat das Rennen Tradition“, hat Seesing ausgemacht. Und die Zuschauer sind ihrem Rennen immer treu geblieben. Gerade in schlechten Zeiten. So kann Seesing auch in diesem Jahr wieder mit rund 70.000 Zuschauern rechnen, die sich zum Velodrom in die Landsberger Allee aufmachen. Oder, wie es der Radsportmanager beschreibt: „Die Hütte ist voll, sechs Tage lang!“.

Und es gab noch andere gute Nachrichten für die „Berliner 6-Tage-Rennen GmbH“. Der Senat spendierte dem Velodrom eine fest installierte, moderne Anzeigentafel. Das entlastet die Organisatoren von der sonst üblichen Leihgebühr von gut 50.000 Euro. Und die sechs Hauptsponsoren engagieren sich auch wieder.

Dennoch sind die Kosten für das Berliner Sechstagerennen weiterhin enorm. Seesing verfügt in diesem Jahr über einen Etat von 3 Millionen Euro, um die altehrwürdige Radsportveranstaltung auf die Beine zu stellen. Da wird knapp kalkuliert. Die Halle muss bezahlt werden, Fahrer, Sicherheitsdienst, Organisation. „Um das Rennen wirtschaftlich zu sichern, haben wir in diesem Jahr überall gespart“, sagt Seesing. Auch bei den Mannschaften.

Ab Donnerstag werden nur 17 anstatt wie sonst 18 Teams ihre Runden im Velodrom drehen. Der Name Bruno Risi fehlt auf der langen Liste der Aktiven. Der populäre Schweizer Topfahrer wird nicht an den Start gehen. Dabei wollte der Publikumsliebling hier seine Karriere beenden. Das fällt nun aus, „weil er bei seiner Gage keine Abstriche machen wollte“, klärt Seesing auf. Risi hätte für die Hälfte fahren sollen. Das jedenfalls behauptet der 41-jährige Sportler.

Vielleicht hat die Absage Risis sogar etwas Gutes. Denn nun wird die Bühne freigemacht für jüngere Radrennsportler. Für aktuelle Titelträger, „denen wir mehr zahlen können und wollen“, so Seesing. Die Antrittsgagen gehen an Weltmeister wie die Dänen Alex Rasmussen und Michael Mörköv oder an Europameister wie Robert Bartko aus Potsdam. „Die Jugend ist die Zukunft des Sechstagerennens“, sagt Seesing. Da ist sich der 72-Jähige ganz sicher. TORSTEN HASELBAUER