Eine Marke, die für nichts steht

KICKER Bekommt der Berliner Vereinsfußball eine dritte Kraft? Die Fusion von BFC Viktoria und dem Lichterfelder FC birgt zumindest diese Chance. Nur wie man aus dem Nichts heraus eine halbwegs funktionierende Fanszene aufbaut, das steht noch in den Sternen

Eine neue dritte Kraft braucht die Stadt. Jedenfalls fußballtechnisch. Denn da kommt hinter Hertha und Union erst mal lange: nichts. In dieser Hinsicht war die Ankündigung der Fusion des Tempelhofer Vereins BFC Viktoria 89 mit dem Lichterfelder FC (LFC) Anfang März ein kleiner Paukenschlag für den Berliner Fußball. Ende Mai wird es bei beiden Vereinen eine Mitgliederbefragung geben, die aber nur noch als Formsache gilt. Zur neuen Saison 2013/14 wird dann aus zweien eins, beide Oberliga-Teams stellen dann eine Mannschaft.

Als die Viktoria im März auch noch die derzeitige Nummer drei der Hauptstadt, den Berliner AK (BAK), aus dem Pokal schoss und dabei keinerlei Klassenunterschied erkennen ließ, kam es manch einem der über 500 Zaungäste schon wie eine Art Wachablösung vor. Zwar hat der BAK nach seiner Pokalsensation, dem Sieg gegen Hoffenheim zu Saisonbeginn, viel bundesweite Aufmerksamkeit bekommen, aber so wirklich angekommen in der Regionalliga ist die dritte Kraft der Stadt nicht. Zu manchen Spielen kommen nicht mal hundert Zuschauer, echte Fans hat der Verein weit weniger. Vor allem aber ist der Verein auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen seines Präsidenten Ali Han abhängig, denn beim Finden zahlungskräftiger Sponsoren tut sich der BAK genauso schwer wie jeder andere Berliner Verein, der nicht Hertha oder Union heißt.

Was aber nun mit der Fusion von Viktoria und dem LFC entstehen könnte, hat zumindest sportlich gesehen großes Potenzial. Während die Lichterfelder im Oberliga-Mittelfeld stehen, spielen die Männer von Viktoria derzeit um den Aufstieg in die Regionalliga. Klappt es damit, könnte der neue Verein also in der Vierten Liga starten.

Meister vor über 100 Jahren

Die Frauen des LFC hingegen haben gute Chancen, in die Zweite Bundesliga aufzusteigen. Dazu kommt, dass der LFC die größte Jugendabteilung Deutschlands hat. Zusammen mit dem traditionsreichen Namen der Viktoria, die in der Frühzeit des deutschen Fußballs zweimal Deutscher Meister wurde – 1908 und 1911 –, ergibt das ein Paket, das für Sponsoren durchaus interessant sein könnte.

Das größte Problem des FC Viktoria 89, wie das Fusionsprodukt später genannt werden soll, dürfte demnach weniger im sportlichen oder wirtschaftlichen Bereich liegen, sondern vielmehr darin, genügend Menschen ins Stadion zu locken und so etwas wie eine Fanszene aufzubauen. Gelänge den Viktoria-Männern der Aufstieg, würden sie in der kommenden Saison wohl im Lichterfelder Stadion spielen, da das Friedrich-Ebert-Stadion in Tempelhof nicht den Verbandsauflagen entspricht. Pläne oder Visionen für einen Stadion-Neubau auf dem Tempelhofer Feld klingen zwar verlockend, dürften aber wohl Utopie bleiben.

Ob die rund 200 Menschen, die derzeit zu den Heimspielen der Viktoria erscheinen, den weiten Weg in den Berliner Süden auf sich nehmen würden, ist fraglich. Selbst wenn: Die Zuschauerzahlen lägen wahrscheinlich noch unter denen von Tennis Borussia (TeBe), zu denen etwa 400 Leute kommen – zwei Etagen tiefer in der Berlin-Liga. Zwar waren beim Pokalkick gegen den BAK auch ein halbes Dutzend Jugendliche da, die mit Fahnen wedelten und sich auf ihrem Transparent als Viktorias Ultras bezeichneten, doch das war ein reichlich versprengter Haufen. Wirkliche Fanszenen mit mehr als nur ein oder zwei Dutzend Mitgliedern gibt es im Berliner Fußball jenseits von Hertha und Union exakt zwei – bei TeBe und dem BFC Dynamo.

Was diese beiden Vereine, aber auch das sich gerade wieder aufrappelnde Türkiyemspor von der alten wie der neuen Viktoria unterscheidet? Sie sind Marken, die für etwas stehen. Zwar gehören bei allen dreien nach diversen Turbulenzen und Insolvenzen auch Chaos und Misswirtschaft zum Markenkern, aber selbst das ist immerhin mehr als nichts.

Ein unbeschriebenes Blatt

Die alte wie die neue Viktoria dürfte dagegen für die meisten Berliner ein unbeschriebenes Blatt sein. Genau darin könnte aber auch die Chance liegen. Immerhin gibt es wenig einzuwenden gegen die Clubs: Beide Vorläufervereine stehen für solides Wirtschaften und ein für Berlin fast schon ungewöhnliches Ausbleiben von Skandalen. Gegen hervorragende Jugendarbeit und eine erfolgreiche Frauenabteilung ist auch nichts zu sagen.

Alles wird jedoch vom sportlichen Erfolg abhängen. Hoch hinaus wollten in Berlin ja schon viele Vereine, von Blau-Weiß 90 über den SC Charlottenburg bis zum SC Wacker 04. Bei den meisten erinnert man sich heute nur an einen tiefen, oft bodenlosen Fall. Vielleicht läuft es diesmal ja anders. JAN TÖLVA