: Von den Wellen hin und her geworfen
ÜBERLEBEN Moussa Tourés Spielfilm „Die Piroge“ begleitet eine Gruppe von Westafrikanern, die versuchen, auf dem Seeweg nach Spanien zu gelangen
„1.000 Liter Benzin, 300 Liter Wasser, 150 Kilo Reis“ gehen mit auf die Reise, heißt es früh im Film; ein Versuch der Selbstvergewisserung durch Planung, einer Inventarisierung, die vermutlich darüber hinwegtäuschen soll, dass das Unternehmen, um das es geht, lebensgefährlich bis selbstmörderisch ist. In einer Piroge, einem simplen, bunt bemalten, mastlosen Fischerboot mit einem behelfsmäßig montierten Außenbordmotor – einer Nussschale, wenn es je eine gab – macht sich eine Gruppe zumeist junger Männer (und eine Frau) von Westafrika nach Spanien auf.
„Wirtschaftsflüchtlinge“ heißen diese Menschen in der Sprache europäischer Politiker und Medien. Eher skizziert als auserzählt werden zu Beginn, an dem der Film sich noch an Land aufhält, aber bereits von einer gewissen Unruhe ergriffen zu sein scheint, einige biografische Linien, die aufs Schiff führen und die mit derart empathiebefreiten Generalisierungen nicht das Geringste zu tun haben: Baye Laye, der Bootsbesitzer, willigt nur zögernd in die gefährliche Überfahrt ein. Ihm schließen sich sein Bruder und ein Freund an, die als Musiker beziehungsweise Fußballer ihr Glück in Europa suchen möchten. Ein geschäftstüchtiger Bekannter vermittelt weitere Reisende; alles Männer – die einzige Frau schleicht sich heimlich an Bord. Angedeutete Lebensläufe von Menschen, die sich bald schutzlos den Launen des Wetters ausgeliefert sehen, den Wogen, die das lächerlich kleine Schiff hin und her werfen, vom Kurs abkommen lassen; und die auch die Erzählungen selbst suspendieren, die kleinen Konflikte zwischen einzelnen Reisenden, aber auch zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die sich für die Zeit der Überfahrt auf engem Raum zusammengedrängt sehen, gegenstandslos machen.
Der Großteil des Films, der an Schuldzuweisungen, die über die konkrete Situation hinausweisen und sie in gewisser Weise relativieren würden, ebenso wenig interessiert ist wie an melodramatischen Verwicklungen, spielt auf hoher See. Der Horizont von „Die Piroge“, wie der jedes einzelnen Reisenden, verengt sich erst aufs immer ferner rückende Reiseziel, dann aufs nackte Überleben. Ein kleiner Film, der am unterfinanzierten Rand der europäischen, insbesondere der französischen Fördersysteme entstanden ist, kann solche Strapazen nicht mit technisch ambitionierten, computergenerierten Illusionen unterfüttern; wenn das Schiff von den Wellen durchgeschüttelt wird, sieht das schon ein wenig nach Badewanne aus.
Die emotionale Wucht, die gerade die schleichende Denarrativierung, die Reduktion des anfangs noch vielgestaltigen visuellen Registers auf Großaufnahmen verstummender oder schon verstummter Menschen entwickeln, mindert das nicht. Ganz im Gegenteil berührt die Erkenntnis, dass Moussa Tourés Film im Vergleich mit – zum Beispiel – Ang Lees motivisch (aber wirklich nur motivisch) entfernt verwandtem Esoterik-Blockbuster „Schiffbruch mit Tiger“ selbst kaum mehr ist als eine Wind und Wetter ausgelieferte Piroge in einer Welt der gegen jeden Umwelteinfluss perfekt abgeschotteten Ozeandampfer. LUKAS FOERSTER
■ „Die Piroge“, Regie: Moussa Touré. Mit Laïty Fall, Souleymane Seye Ndiaye u. a. Frankreich, Senegal 2012, 87 Min.
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