Alltag in Auschwitz

STARKER FILM Zivildienst im ehemaligen KZ: Der Coming-of-Age-Film „Am Ende kommen Touristen“ (0.15 Uhr, ZDF) spielt an einem Ort, wo Gedenken zur Routine verkommt

VON MAX BÜCH

Aus den Lautsprechern tönt polnische Rockmusik, als durch die Windschutzscheibe allmählich die Mauern des Konzentrationslagers erkennbar werden. Das Taxi hält an, das Ziel ist erreicht, „Auschwitz Parking“ steht in großen weißen Lettern auf einem braunen Hinweisschild.

Sprachlos in Polen

Auschwitz und Parking, zwei globalisierte Wörter, die so überhaupt nicht zueinander passen, die ebenso wenig in das polnische Oświęcim zu passen scheinen, und doch von dort nicht wegzudenken sind. Deutsch und Englisch – Massenmord und Massentourismus. „Am Ende kommen Touristen“ schildert ebendiese paradoxe Problematik des Sicherinnerns, wenn es zum Touristenphänomen, zur alltäglichen Routine geworden ist.

Sven (Alexander Fehling) ist nicht als Tourist, sondern als Zivildienstleistender bei der Gedenkstätte angekommen. Eigentlich hätte er seinen Dienst gerne in einer Jugendherberge in Amsterdam angetreten, aber eine Stelle hat er nur hier in Oświęcim bekommen. Mit dürftigen Sprachkenntnissen beginnt er seinen Aufenthalt in der Fremde, der ihm viel zwischenmenschliches Feingefühl abverlangt: Neben der Arbeit mit Schulklassen vor Ort soll er sich vor allem um den KZ-Überlebenden Krzemiński kümmern.

„Anzünden!“, teilt Krzemiński (Ryszard Ronczewski) seinem Helfer im Befehlston mit und schiebt erst dann das wenig freundlichere „Anzünden, bitte!“ hinterher. Er ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust, und ihm ist es zu verdanken, dass die Erinnerung wachgehalten wird, er hat die Gedenkstätte maßgeblich mit aufgebaut. Doch wie soll man einen alten Mann mit einer solchen Vorgeschichte von der Notwendigkeit von Krankengymnastik überzeugen – und das auch noch als Deutscher?

Erst Ania (Barbara Wysocka), eine polnische Dolmetscherin, die Führungen für Touristengruppen durch Auschwitz leitet, bringt die ersehnte Abwechslung in Svens Leben, abseits von Gedenkstättenroutine und einsamer Alltagstristesse. Durch die Beziehung zu ihr lernt er schließlich das eigentliche Oświęcim kennen, den Ort, an dem die Menschen auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufgehört haben zu leben.

Regisseur und Drehbuchautor Robert Thalheim („Netto“) war Mitte der 90er-Jahre selbst als Zivi in Auschwitz. Mit „Am Ende kommen Touristen“ ist es ihm gelungen, einen Holocaust-Film zu schaffen, ohne den Holocaust selbst in den Vordergrund zu rücken. Er stellt nicht die Fragen nach der Vergangenheit, sondern zeigt, welche Spannungen und Widersprüchlichkeiten in die Gegenwart hineinwirken.

Erzählungen als Zeremonie

Realitätsnah und ruhig erzählt er von den Problemen, die Sven als Deutscher in Polen miterlebt. Von verbliebenen Vorurteilen der Polen („na so was, ein Deutscher ohne Uhr“) und Deutschen („wie die Polen das haben verlottern lassen“). Von einem Zeitzeugen, dessen Erzählungen Teil einer Zeremonie geworden sind. Dessen Lebenswerk und dessen Würde zur Nebensache werden, wenn sie sich mit dem Tourismus nicht mehr vereinbaren lassen – weil er die vor Ort ausgestellten Koffer von ermordeten Juden nicht originalgetreu restaurieren, sondern fachmännisch reparieren möchte, wie er es seit jeher getan hat.

Und selbst mit der Liebesgeschichte zwischen Sven und Ania verspielt Thalheim nicht seine Glaubwürdigkeit einer realistischen Darstellung. Während für Ania feststeht, dass sie aus Oświęcim fortgeht, um sich ein besseres Leben zu ermöglichen, schwebt Sven noch im westlichen Luxus der Ungewissheit, welchen Weg er in Zukunft einzuschlagen gedenkt.