CITYMAUT IN STOCKHOLM: DIE KUNST, ALLES FALSCH ZU MACHEN
: Große Brüder und kleine Schwestern

Den öffentlichen Nahverkehr kräftig ausbauen und zugleich eine Straßenmaut zu erheben, die im Geldbeutel deutlich spürbar ist – diese Kombination ist ein Erfolg versprechendes Rezept für Innenstädte vor dem Verkehrskollaps. Auch wer die Feinstaubbelastung ernst nimmt, darf sicher sein, mit einer Citymaut die Grenzwerte einhalten zu können. Oslo hat sie schon seit Jahren, dann kam London, in der kommenden Woche geht Stockholm an den Start. In Kopenhagen werden die Pläne konkreter. Umso frustrierender, wenn bei der Umsetzung einer guten Idee nahezu alles falsch gemacht werden kann – wie jetzt in Stockholm.

Aus Angst, bei den nächsten Wahlen dafür bestraft zu werden, und aus Rücksicht auf die einflussreiche Autolobby haben sich die Parteien nur auf ein Versuchsprojekt bis zum Sommer einigen können. Die StadtbewohnerInnen dürfen zwar über die Fortsetzung selbst entscheiden, in demokratischer Hinsicht ein ehrenwerter Ansatz. Doch wenn eine Mehrheit der StockholmerInnen mit Nein stimmt, sind alle Investitionen hinausgeworfenes Geld, und das Thema Maut wird auf viele Jahre hin gestorben sein – ohne dass es einen Plan B gegen die City-Verstopfung gäbe.

Und ein Nein könnte nach dem aktuellen Meinungsbild tatsächlich herauskommen. Die StockholmerInnen werden nicht allgemein über eine Maut abstimmen, sondern über das konkrete Modell. Es ist nicht nur unlogisch und kompliziert, es ermöglicht auch, die Privatsphäre zu überwachen: Nicht nur Mautverwalter und die Polizei, sondern auch die Öffentlichkeit soll per Internet Zugriff auf die Kameraaufnahmen von den Passierstellen haben. Denn die Maut ist als Steuer konzipiert, und Steuersachen sind in Schweden öffentlich.

So beschäftigen sich die schwedischen Medien nun durchweg nicht mehr mit den segensreichen Wirkungen der Maut, sondern mit Tipps, wie die Zahlung zu umgehen ist. Selbst überzeugte BefürworterInnen kostenpflichtiger Straßenbenutzung tendieren mittlerweile zum Nein. Jetzt droht den Planern ein Fiasko – und den Citybewohnern auch.

REINHARD WOLFF