Herausforderung Balkan

Noch ist unklar, ob und wann die Balkanländer der EU beitreten dürfen. Ihre Chancen steigen mit Wiens EU-Vorsitz. Viele Probleme aber sind ungelöst

AUS WIEN RALF LEONHARD

Die Zukunft des Balkans wird auch in Wien entschieden. Am Sonntag übernimmt Österreich den Vorsitz in der Europäischen Union. Der Balkan soll der außenpolitische Schwerpunkt sein. Es geht um nicht weniger als um den endgültigen Zerfall Serbiens – des alten Widersachers österreichischer Großmachtpolitik auf dem Balkan.

Minister der Region werden zu den großen Konferenzen eingeladen, selbst wenn ihre Länder noch keinen Beitrittsstatus haben. Vergleichsweise unkompliziert verspricht im Juni die Festlegung des Fahrplans für Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien zu werden, die Österreich durchgesetzt hat. Im Mai muss entschieden werden, ob Rumänien und Bulgarien schon 2007 oder erst 2008 beitreten können.

Die besonders heiklen Entwicklungen allerdings liegen gar nicht unmittelbar in der Kompetenz der EU. So entscheidet Montenegro im ersten Halbjahr 2006 via Referendum über das Schicksal des Staatengebildes Serbien-Montenegro. Zwar in Wien, aber im Rahmen der Vereinten Nationen beginnen Ende Januar Gespräche über den endgültigen Status der serbischen Provinz Kosovo, die unter internationaler Verwaltung steht. Sowohl die mehrheitlich albanische Provinz als auch der mediterrane Teilstaat wollen unabhängig sein.

Die Unterschiede sind schon jetzt immens. Während in Serbien noch immer der Dinar als offizielle Währung zirkuliert, zahlt man im Kosovo und in Montenegro mit dem Euro. Und während in Belgrad nach wie vor die Schwerindustrie der sozialistischen Epoche betrieben wird, hat Montenegro eine moderne Wirtschaft, die auf Tourismus und Leichtindustrie setzt.

Dass Österreich, das 530 KFOR-Soldaten im Kosovo stationiert hat, eigene Wege gehen wird, ist nicht zu erwarten. Vielmehr liegt es an der Ratspräsidentschaft, eine gemeinsame Position der EU zu finden. Mittelfristig wird die Loslösung von Serbien kaum zu verhindern sein. Auf keinen Fall soll es aber eine Union mit Albanien geben. Auch eine Zersplitterung nach ethnischen Grenzen wie in Bosnien soll vermieden werden. Außenministerin Ursula Plassnik machte kurz vor Weihnachten in Brüssel klar, dass man von Österreich nicht die Lösung aller Probleme erwarten dürfe: „Wir sind keine Wunderheiler.“

Entsprechend mager ist das außenpolitische Programm, das sich die Regierung vorgenommen hat. An konkreten Schritten für Osteuropa sind da Beratungen über Fördermittel für Moldawien und die Ukraine vorgesehen. Damit will man Beitrittsgesuche aus diesen Ländern hintanhalten. Von einer EU-Erweiterung soll aus innenpolitischen Rücksichten möglichst wenig die Rede sein.

Österreich erweist sich nämlich im Euro-Barometer als jenes Land, dessen Bevölkerung die größte Skepsis gegenüber der Union hegt: Bei nur 24 Prozent der Befragten ruft die EU „allgemein ein positives Bild hervor“. Der Schnitt der EU-25 liegt bei immerhin 44 Prozent. Und auch „für zusätzliche Erweiterung in den nächsten Jahren“ können sich in Österreich mit nur 29 Prozent weniger Stimmbürger als in anderen Ländern erwärmen. Wirtschaftsminister Martin Bartenstein will zwar die oppositionelle SPÖ für diese Skepsis verantwortlich machen, doch werden Anti-Brüssel-Gefühle vor allem vom Koalitionspartner BZÖ und der FPÖ geschürt. Die FPÖ, von deren Stimmen im Nationalrat die Regierungsmehrheit noch immer abhängt, hat für März unter dem Titel „Österreich, bleib frei“ sogar ein Volksbegehren gegen Verhandlungen mit der Türkei, die EU-Verfassung und die Vertiefung der europäischen Integration angesetzt.

Für Wolfgang Schüssel wird die Ratspräsidentschaft ein politischer Balanceakt, gilt es doch einerseits den großen Europäer hervorzukehren und andererseits seine ÖVP für die Nationalratswahlen im Herbst in Stellung zu bringen. Schon jetzt ist klar, dass FPÖ und BZÖ einen Wahlkampf gegen Ausländer und EU führen werden. „Wahlen in der Nähe einer EU-Präsidentschaft sind im Bereich Außenpolitik keine hilfreiche Sache“, sagt Antonio Missiroli, der Chefanalyst des European Policy Center in Brüssel, in einem Interview mit der Zeitung Der Standard.

In der Wirtschaft hingegen bestreitet niemand, dass Österreich mehr als jedes andere Land von der Erweiterung profitiert hat. Österreichische Banken, Versicherungen und Wirtschaftsbetriebe investieren seit Jahren in Süd- und Südosteuropa und freuen sich über hohe Profitraten. Gerade hat die Erste Bank, Österreichs zweitgrößtes Geldinstitut, die größte Bank Rumäniens gekauft und rechnet, dass sich die Kosten von immerhin 3,7 Milliarden Euro in fünf Jahren amortisieren. Selbst die Ukraine ist für Investoren kein Geheimtipp mehr. Für die Wirtschaft ist die siebenjährige Übergangsfrist für den Zuzug von Arbeitskräften aus den neuen EU-Ländern ebenso ärgerlich wie die Anti-EU-Rhetorik von Spitzenpolitikern.