Konjunkturforscher sorgen vor

Politik und Wirtschaft sind begeistert, dass 2006 den Aufschwung bringen soll. Doch den Experten, die diese Prognose gemacht haben, bereitet die Euphorie Bauchschmerzen. Sie wissen, dass ihre Vorhersagen mit Vorsicht zu genießen sind

VON BEATE WILLMS

Es ist so weit, da sind sich Politiker, Konjunkturexperten, Unternehmer und Verbraucher ausnahmsweise einig: 2006 kommt Deutschland aus dem Jammertal heraus. 1,2 bis 1,8 Prozent Wachstum verheißen die Chefvolkswirte der Banken und die institutionellen Konjunkturforscher der Wirtschaft. Im Durchschnitt weniger als 2004, aber immerhin bis zu doppelt so viel wie die 0,9 Prozent, die 2005 letztlich ergeben dürfte.

Die Vorhersagen sorgen allerdings schon wieder für so gute Stimmung, dass die Auguren sich bemüßigt fühlen, den Überschwang zu bremsen: Bei jeder Äußerung zum Thema Konjunktur weisen sie darauf hin, dass der prognostizierte Aufschwung alles andere als sicher ist – und zunächst nur für 2006 gilt.

Diese Absicherung kommt nicht von ungefähr. Konjunkturprognostiker arbeiten in einem schwierigen Feld. Von ihren Vorhersagen hängen politische und ökonomische Grundsatzentscheidungen ab, die direkte Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Wohlstand haben. Fehlschläge werden gnadenlos verurteilt. Der Ruf der Zunft ist nicht der beste: Mit Ausnahme des Jahres 2004 hatten die Prognosen der letzten Jahre meist wenig mit der Wirklichkeit zu tun – in der Regel überschätzten sie das Wachstum.

Für 2005 waren sich die Institute besonders uneinig gewesen, Anfang des Jahres lagen sie noch um 1,2 Prozentpunkte auseinander. Voraussichtlich hat lediglich das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) die tatsächliche Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP), also der Wirtschaftsleistung, einigermaßen punktgenau getroffen. Die Kieler hatten 0,8 Prozent Wachstum prophezeit. Weit daneben lagen dagegen ausgerechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), also das größte deutsche Institut und das Kompetenzzentrum der neoliberalen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Sie hatten ein Wachstum von 1,8 und 2 Prozent vorhergesagt.

„Das generelle Problem von Prognosen ist, dass sie eben Prognosen sind“, sagt IW-Konjunkturexperte Michael Grömling. Egal, mit welchen konkreten Methoden ein Forscher arbeitet: Neben einer guten Datenbasis und möglichst zielgenauen Indikatoren wie repräsentativen Umfragen und Auftragseingängen spielen Annahmen eine große Rolle. So habe das IW den Ölpreis unter- und die Dynamik der Weltwirtschaft für die deutsche Wirtschaft überschätzt. Zudem seien die Unternehmen unzufriedener gewesen und hätten entsprechend wenig investiert. Grömling: „Wir haben die politische Landschaft zu gut beurteilt.“ Ein entscheidender Punkt sei allerdings von niemandem vorhersehbar gewesen: die im Mai angekündigten Neuwahlen mit der folgenden halbjährigen Unsicherheitsphase.

Der IW-Experte verweist auf ein weiteres grundsätzliches Problem: Die Prognostiker arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten. So habe das IW zwei Szenarien für 2005 gehabt: 70 Prozent sprachen für das 2-Prozent-Wachstum, 30 Prozent für eine Stagnation – also für so ziemlich das Gegenteil. Mit dem Mittel aus beiden habe das IW genau richtig gelegen.

Kein Wunder, meint Grömlings DIW-Kollege Christian Dreger. Seiner Erfahrung nach sind Prognosen, die sich aus möglichst vielen Vorhersagen mit verschiedenen Ansätzen zusammen setzen, erheblich treffgenauer als Einzelprognosen. Um auf die von der Öffentlichkeit gewünschten Punktprognosen mit konkreten Wachstumszahlen zu kommen, müssten die Konjunkturforscher hohe Unsicherheiten in Kauf nehmen: Laut DIW-Konjunkturchef Alfred Steinherr liegt die Wahrscheinlichkeit, das Wachstum exakt vorauszusagen, bei 0,15 Prozent. Die Fixierung auf die konkreten Zahlen ist Unfug, meint deshalb Grömling. Entscheidend für die Güte und Brauchbarkeit einer Prognose sei, dass sie Wendepunkte, Richtungen und Steigungen der Konjunkturkurve vorhersieht.

Beim DIW will man nun aus der Not eine Tugend und die Prognose transparenter machen. Die „Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung 2006“, die das Institut am 3. Januar vorstellt, werden als Zusatzangebot so genannte Sensitivitätsanalysen enthalten. Diese sollen zeigen, wie sich die Vorhersage verändert, wenn sich bestimmte Vorannahmen als falsch erweisen.