Die Geheimnisse des Kugelschreibers

PRODUKTTEST Der Spick-Kuli quietscht, kann aber Heiratsanträge und Botschaften für den Gefängnisnachbarn übermitteln

VON ANNE-SOPHIE BALZER

Als Schülerin habe ich meine Spickzettel auf die Etiketten meiner Wasserflaschen geklebt. Später in der Oberstufe wurden die Schummelvorlagen origineller und mit nahendem Abitur auch immer dreister, es ging schließlich um alles. Am besten funktionierten die karierten Schreibblockseiten, die ich mit Formeln oder Zitaten aus dem Geschichtsbuch in Schriftgröße 8 bedruckt hatte – im Spardruckverfahren, also möglichst blass – und die ich dann unter meine weißen Blätter legte. Meinen Chemieleistungskurs hätte ich wohl kaum ohne dieses Hilfsmittel bewältigt.

Jetzt also ein Spick-Kuli, der das Schummeln zu einer diskreten und professionellen Angelegenheit machen soll. Der Wunderstift wird von der Firma Donkey Products mit dem Slogan „Spick up your life! Die Formelsammlung für die weiße Weste“ beworben und besitzt ein geheimes Ausziehbanner. Er überzeugt durch eine angemessene Größe, liegt angenehm in der Hand und schreibt gut. Die Metallklemme, mit der man den Stift beliebig an der Brust- oder Gesäßtasche befestigen kann, zeugt von Stabilität. Dies möchte ich besonders betonen, da ich damit gerne und oft ungestüm herumspiele und die Schnalle zumeist nach kurzer Zeit abbricht.

Die kleine Papierrolle, die im dunklen Inneren des Stiftes ihr kriminelles Dasein fristet, ist von außen nicht sichtbar, man kann sie bei Bedarf an ihrem metallenen Ende herausziehen. Dabei ähnelt das Gebilde dann einer Art Miniatur-Gesetzesrolle. Möchten die Schummler dann aber zur Tat schreiten und ihr Wissen anhand weniger Stichworte auf der karierten Papierrolle in Erinnerung rufen, entfährt dem Stift ein wenig diskretes Rascheln und Quieken. Was bei der Fahrradbremse den sofortigen Einsatz nativen Olivenöls erfordern würde, lässt sich beim Spicker-Stift nicht so einfach beheben. Wie soll sich hier diskret des verlorenen Wissens bedient werden, wenn die kriminelle Handlung nur durch paralleles, betont lautes Füßescharren oder Husten angemessen kaschiert werden kann? Auch die Tatsache, dass für das Notieren auf der Papierrolle wiederum ein anderer Stift benötigt wird, ruft Unmut hervor.

„Drei Mal Tofuwurst“

Schließlich notiere ich meinen Einkaufszettel auf der Papierrolle. „3 Mal Tofuwurst für Sören“ steht da jetzt. Leider mit Kuli, was ich zu spät bemerke und was die Rolle nun für weitere Experimente unbrauchbar macht.

Wie wäre es wohl, sinniere ich vor dem Tofuregal stehend, wenn man die Papierrolle im Gefängnis zur Weitergabe wichtiger Informationen verwendete? Der ganze Schwarzmarkt dort könnte durch den Stift ein enormes Wachstum erleben. Und was, wenn man sich via präpariertes Schlussmach-Geständnis auf der Papierrolle vom Liebsten befreite? Einfach jedem Liebhaber am Anfang der Liaison einen Stift schenken und im Innern ein paar allgemeine Gründe auflisten, die jeder Beziehung den Garaus machen. Etwa: Immer stinken deine Socken, du verlässt so gut wie nie deine Wohnung. Ich denke auch, du magst Pferde lieber als mich. Es funktioniert einfach nicht mit uns. Leb wohl. Das würde jedenfalls auf die Papierrolle passen und ist auch recht allgemein formuliert. Man könnte den Kuli zu Beginn der Beziehung verschenken und – falls es irgendwann nicht mehr passen sollte – auf die Botschaft im Innern hinweisen.

Oder, falls man eher optimistisch ist, einen Heiratsantrag verstecken. Quietsch quietsch, raschel raschel … Ja, ich will auch! Oder Pinnummern und eine Karte vom im Garten vergrabenen Familiengold? Ich bereue es, die Tofuwurst im Wunderkuli verewigt zu haben. Vom Wurstshopping zurück, bestelle ich mir gleich drei neue Stifte, einen für den Liebsten, einen für die Pinnummern und einen für … ehrr, darüber sollte ich nicht sprechen.

Spick-Kuli der Firma Donkey Products, zu beziehen über shop.donkey-products.com, für ca. 10 Euro