nebensachen aus prag
: In Tschechien ist jedes Jahr ein Jahr des Hundes

Ein frohes neues Jahr! Wenn dann im nächsten Monat das chinesische beginnt, leben wir im Jahr des Hundes. In Tschechien ist eigentlich jedes Jahr das Jahr des Hundes. Rund eineinhalb Millionen Vierbeiner sind offiziell in dem Zehn-Millionen-Staat registriert, illegal – so wird geschätzt – leben in Tschechien noch mal so viele. Kurzum, in Tschechien gibt es mehr Hunde als Katholiken (laut Volkszählung 2001: 2,6 Millionen).

Viele junge Paare ziehen den besten Freund des Menschen eigenem Nachwuchs vor. Kein Wunder, sind Hunde doch um einiges pflegeleichter und kuscheliger, nerven nicht beim sonntäglichen Shoppen im Hypermarkt und lassen sich notfalls im Wald, auf einem Parkplatz oder im Tierheim entsorgen. In der Dog-eat-dog-world, die die postkommunistischen Reformen der frühen Neunziger in Tschechien geschaffen haben, sind Hunde einfach die bessere Alternative zu Kindern.

Der tschechische Schriftsteller Karel Polacek erzählt in seinem Kinderbuch „Edudand a Francimor“ von einer Stadt, in der die Rollen von Hunden und Menschen vertauscht sind. Menschen gehen an der Leine, liegen unter Tischen und leben in Hundehütten. Und sie sind damit glücklich und zufrieden. Die heutige tschechische Gesellschaft nimmt zwar keinen ihrer Mitglieder an die Leine. Sie vermenschlicht aber Hunde, um deren Halter aus ihrer Anonymität zu bringen.

Egal ob plattenbaugerechter Prager Pinscher (der irgendwie aussieht wie eine Ratte auf Stelzen) oder tschechoslowakischer Schäferhund (eine wolfsähnliche Bestie, die einst eigens zur Sicherung der Staatsgrenze gezüchtet wurde), Hunden werden oft menschliche Eigenschaften zugeschrieben und sie werden verhätschelt, dass es an Tierquälerei grenzt. Als Besitzerin einer schwarzen Labradorhündin – ich muss mich jetzt wohl selbst als „gone native“ outen – bekam ich anfangs fast ein schlechtes Gewissen, dass ich meinen Hund als einen solchen sah. „Ist das ein Junge oder ein Mädchen“, fragte mich einmal beim Parkspaziergang eine junge, recht normal aussehende Frau. „Eine Hündin“, entgegnete ich und dachte, sie spreche im Slang eingeweihter Hundehalter. „Ach, meine Eltern haben auch so ein Mädchen daheim, aber eine Blondine“, entgegnete die junge Frau erfreut. Inzwischen sehe ich sie öfter mit einer kleinen zweijährigen Blondine und glaube fest, dass sich ihr Verhältnis zu Hunden etwas normalisiert hat.

Wer hier auf den Hund kommt, kommt auch zur Erkenntnis, dass die Tschechen gar nicht so mürrisch sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Wie letzten Herbst, bei unserer traditionellen Federweißen-Tour durch die Weinstuben der Prager Altstadt. „Nein, Sie dürfen noch nicht gehen“, rief uns der Wirt entsetzt nach, als wir uns die Mäntel anzogen. „Der Hund hat doch noch gar nicht zu Abend gegessen“, fügte er schnell hinzu, zauberte eine Schüssel mit gebratener Entenleber aus der Küche und ließ es sich nicht nehmen, sich Hände und Arme von meiner Hündin abschlecken zu lassen, die in ihrem Stammbaum irgendwo einen Abfalleimer haben muss. Beim zweiten Besuch derselben Weinstube ein paar Monate später und ohne vierbeinige Begleitung, fragte der Wirt nur vorwurfsvoll: „Ja, wo ist denn Ihr Hund?“

Was auch 2006 bringen mag, Hunde können beruhigt sein, dass es ihnen hier weiterhin gehen wird wie Gott in Frankreich. Besser gesagt, wie Hunden in Böhmen. ULRIKE BRAUN