Russland senkt den Druck

Streit um den Preis: Seit dem Neujahrsmorgen fließt kein Erdgas für die Ukraine mehr durch die Pipelines aus dem Osten

AUS MOSKAU KARSTEN PACKEISER

Der russische Gaskonzern Gazprom hat am Neujahrsmorgen seine Drohungen wahrgemacht und die Lieferungen an die Ukraine eingestellt. In einem mehrere Wochen andauernden Nervenkrieg war es russischen und ukrainischen Unterhändlern bis Mitternacht nicht gelungen, sich auf einen neuen Gaspreis zu einigen.

Noch am Silvesterabend sah es zeitweise danach aus, als könnte der kalte Krieg ums Erdgas zwischen den beiden GUS-Republiken in buchstäblich letzter Minute beigelegt werden. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte dem Nachbarland auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats im Kreml angeboten, im ersten Quartal 2006 Erdgas weiterhin zum seit zehn Jahren gültigen Preis von 50 Dollar je 1.000 Kubikmeter zu beziehen. „Es geht nicht um eine abstrakte Staatsführung und nicht um Öl- und Gasbarone, die ihre eigenen Interessen so oder so befriedigen werden, sondern um das ukrainische Brudervolk“, so Putin, „wir müssen an die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine als Ganzes denken.“

Bedingung dafür, dass Russland die alten Preise bis zum Frühjahr aufrechterhalte, sei jedoch, dass vom zweiten Quartal an Weltmarktpreise für das russische Gas gezahlt würden und die ukrainische Seite noch vor Mitternacht einen neuen Liefervertrag unterzeichne, erklärte der Kremlchef. Der Gaspreis für die Ukraine würde dann zwischen 220 und 230 Dollar je 1.000 Kubikmeter Erdgas liegen. Bis zuletzt hatte Gazprom auf ein Einlenken der Ukrainer gewartet, die gesamte Konzernspitze verbrachte Fernsehberichten zufolge die Silvesternacht in ihren Büros im Moskauer Gazprom-Hochhaus.

„Ein Flugzeug steht bereit“, sagte Konzernsprecher Sergej Kuprijanow am Silvesterabend dem Staatsfernsehen. „Wir sind bereit, eine ukrainische Delegation in Moskau zu empfangen oder Dokumente in jeder beliebigen Form entgegenzunehmen.“ Notfalls werde Gazprom sich auch mit einem Fax aus Kiew zufrieden geben, teilte Kuprijanow mit.

Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko hatte sich noch am Silvesterabend dankbar dafür gezeigt, dass die Verhandlungen „in eine konstruktive Phase getreten“ seien. Doch das Ultimatum aus dem Kreml ließ er trotz seiner warmen Worte verstreichen. Im Prinzip sei die Ukraine bereit, zu Marktpreisen überzugehen, doch deren genaue Höhe müsse noch festgelegt werden, verlautbarte von Juschtschenkos Pressedienst.

Die Gaslieferungen an Abnehmer in Westeuropa, die zu 80 Prozent über ukrainisches Territorium abgewickelt werden, würden in vollem Umfang aufrecht erhalten, teilte die Gazprom-Zentrale in Moskau am Sonntagmorgen mit. Der ukrainischen Wirtschaft drohten nun allerdings „katastrophale Folgen“, warnte Gazprom-Sprecher Kuprijanow.

Ein Gazprom-Krisenstab soll gewährleisten, dass die für die EU- und Balkan-Staaten bestimmte Gasmenge vollständig in den Bestimmungsländern ankommt.

In Kiew gab es am Sonntag zunächst überhaupt keine offiziellen Kommentare zur Einstellung der russischen Lieferungen – von einer knappen Pressemeldung des Energiekonzerns Naftogas Ukrainy abgesehen, in der der Druckabfall in den Pipelines bestätigt wurde. Da beide Länder sich nicht nur über den Preis des russischen Gases, sondern auch nicht auf einen neuen Vertrag über den Gastransit nach Westeuropa einigen konnten, wurden in der Ukraine gleichzeitig bereits Stimmen laut, das gesamte Transitgas fortan als „Schmuggelware“ einzustufen.

Der ukrainische Premierminister Juri Jechanurow hatte noch vor einigen Tagen angedroht, sein Land werde notfalls 15 Prozent der Transitmenge zu eigenen Zwecken abzweigen. Das russische Außenministerium warnte Kiew am Sonntag in einer offiziellen Erklärung davor, Mittelasiendie Westexporte anzuzapfen. Anderenfalls trage allein die ukrainische Seite die Verantwortung für mögliche „Probleme in den Ländern Europas“, heißt es in dem Text.

Engpässe bei der Gasversorgung werde es in der Ukraine nicht geben, hatte ein Naftogas-Sprecher vor Neujahr versprochen. Die Ukraine verfüge über erhebliche Reserven. Wegen der Neujahrsfeiertage und dem orthodoxen Weihnachtsfest liege der Gasbedarf Anfang Januar zudem deutlich unter dem Jahresdurchschnitt.

Erst am Freitag war es der ukrainischen Führung zudem gelungen, die möglichen Folgen eines russischen Energieembargos abzumildern. Mit Turkmenistan konnte ein neues Lieferabkommen für 2006 abgeschlossen werden. Die Ukraine erhält aus Mittelasien 40 Milliarden Kubikmeter Gas zum alten Preis von 50 Dollar und kann damit bereits über die Hälfte ihres Gasbedarfs abdecken. Die Bedingungen für die turkmenischen Gaslieferungen seien in „absolut freundschaftlichen“ Gesprächen zwischen den Staatschefs ausgehandelt worden, gab Juschtschenko bekannt.