„Diese Schule war meine Heimat“

PREISVERLEIHUNG Daniel Cohn-Bendit distanziert sich erneut von seinem Buch über die Kinderladen-Zeit. Die Odenwaldschule bedeute ihm viel, daher habe er dazu in der Missbrauchsdebatte bisher geschwiegen

„Jagt mich nicht für etwas, was ich nicht getan habe“

DANY COHN-BENDIT, GRÜNE

STUTTGART taz | Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit hat sich bei der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises von früheren Äußerungen über erotische Spiele mit Kindern distanziert und diesbezügliche Verdächtigungen zurückgewiesen. „Kritisiert mich für das, was ich geschrieben habe, bis zu meinem Tod – aber jagt mich nicht für etwas, was ich nicht getan habe“, sagte er in seiner Preisrede am Samstag im Stuttgarter Neuen Schloss.

In den vergangenen Wochen gab es eine Debatte über das Buch „Der große Basar“ von Cohn-Bendit aus dem Jahr 1975 . Darin beschreibt er seine Zeit als Betreuer in einem Frankfurter Kinderladen und seinen Umgang mit den Kindern. „Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln“, lautet einer der Sätze. Wegen dieser Aussagen hatte im März der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, die geplante Laudatio abgesagt. Der Theodor-Heuss-Preis wird seit 1965 für bürgerschaftliches Engagement und Zivilcourage vergeben.

Daniel Cohn-Bendit hatte sich bereits früher von den Aussagen distanziert und diese als „unerträglich“ bezeichnet. Auch am Samstag erklärte er, dass er damit damals habe provozieren wollen. Er habe sich nie an Kindern vergriffen. Außerdem erklärte er erstmals ausführlicher, warum er sich bis heute nicht zu den Missbrauchsfällen an der Odenwaldschule geäußert habe, auf die er selbst als Schüler gegangen ist. „Diese Schule war für mich meine Heimat“, sagte der Europa-Politiker. „Ich war gelähmt.“ Bei dieser Passage, der Erinnerung an den frühen Tod seiner Eltern, brach der 68-Jährige in Tränen aus.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verteidigte Cohn-Bendit. Kretschmann war im Vorfeld für diesen Auftritt von CDU und FDP im Landtag hart attackiert worden. CDU-Fraktionschef Peter Hauk hatte Cohn-Bendit als „Pädophilen“ bezeichnet und die Preisverleihung samt Kretschmanns Grußwort skandalisiert.

Kretschmann sagte am Samstag, Cohn-Bendits Äußerungen damals seien zwar unerträglich gewesen, doch bestehe ein Unterschied zwischen Worten und Taten, den CDU und FDP bewusst verwischen würden. Zudem plädierte Kretschmann für die Vergebung als besonderes Kennzeichen demokratischen Selbstbewusstseins.

Vor dem Neuen Schloss demonstrierten etwa 70 Leute, Mitglieder der Jungen Union und Vertreter eines Verbandes von Missbrauchsopfern. Die CDU und FDP-Fraktion im Landtag boykottierten die Preisverleihung.

Allerdings war auch ein Liberaler im Neuen Schloss anwesend. Der Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) wollte gern einen Kontrapunkt zum Verhalten der FDP-Landtagsfraktion setzen, ist auch im Kuratorium der Heuss-Stiftung. Man müsse die „Größe haben, einen politischen Konkurrenten zu ehren“, sagte Baum. NADINE MICHEL