„Wir stehen an für die Liebe“

TAZ.LAB Wenn Menschen Schlange stehen: Hier ein Sampler mit Hot Spots vom Samstag

■ Ort: Haus der Kulturen der Welt in Berlin

■ Wetter: sehr frisch, sonnig

■ Publikum: mehr als 2.000 Menschen

■ Veranstaltungen: von 9 bis 22.30 Uhr knapp 80 in acht Räumen (davon drei Zelte)

■ ReferentInnen: 168

■ Stressfaktor: gering

■ Warteschlangen: überschaubar

Pünktlichkeit: hoch

■ Tanzlust: verhalten

VON EMILIA SMECHOWSKI

Der lässigste Besucher Der kleine Otto wurde mitgeschleppt und steht nun im Ringelpulli vor der Bühne, auf der unter anderen Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin der Grünen, über Bürgerengagement spricht. Vor und zurück läuft er, treppauf, treppab, setzt sich auf den Bühnenrand. Erwarten wir zu viel von Politik, protestieren wir anders als früher? Beeindruckt Otto alles nicht. Er schaut zu dieser Frau mit den glatten, braunen Haaren. „Komm!“, flüstert sie. Lächelt. Ja, so ein Politiker-Kind-Foto, das wär doch schön. Otto dreht sich um und springt von der Bühne. Der beste Handschlag Eigentlich muss er ganz schnell zum Panel, die Leute warten schon. Da entdeckt er jemanden in der Menge. „Hallo, Christian!“, ruft Christian Ströbele, hält inne und gibt taz-Freund Christian Specht die Hand. Sie lächeln sich an. Sie kennen sich von früher, von Demos und Sitzblockaden. Die verwirrendste Aktion Sie hockt vor der Bühne auf dem Boden und strickt. Oben wird debattiert über das N-Wort in Kinderbüchern, Anke Domscheit-Berg verkeilt ihre vier Stricknadeln ineinander, gleichmäßig ihr Tun, selten schaut sie hoch. Wer nicht weiß, dass Domscheit-Berg, einst Mitglied der Grünen, immer noch Internetaktivistin, aber inzwischen Mitglied der Piratenpartei ist, kann es doch sehen. Strumpfhose, Schal, Ledergürtel, iPhone-Hülle: alles in Orange. Irgendwann packt sie zusammen und steht auf. Der größte Eklat Wäre sie nur geblieben. taz-Redakteur Deniz Yücel, der das Panel moderiert, zitiert aus Originaltexten. Preußler, Lindgren, Theodor W. Adorno. Er zeigt den Titanic-Titel mit Roberto Blanco und der Überschrift „Warum nicht mal ein Neger?“ Die schwarze Schriftstellerin Sharon Otoo, die auf dem Podium sitzt, greift zum Mikro. „Man kann Rassismus nicht mit rassistischen Begriffen bekämpfen“, sagt sie. „Es tut den falschen Leuten weh.“ Ihre Stimme bricht.

Schließlich liest Yücel aus Martin Luther Kings berühmter Rede „I have a dream“.

■ Zwei Dutzend junge KollegInnen aus der taz-Akademie haben im Haus der Kulturen der Welt wie in einem Bienenkorb ihren frisch-journalistischen Ehrgeiz ausgelebt – all ihre Berichte vom taz.lab 2013 sind auf www.taz.de und im Hausblog auf www.taz.de/hausblog nachzulesen. Betreut wurden alle RedakteurInnen an diesem Tag von Nicola Schwarzmaier (taz-Sitemanagement), Annabelle Seubert und Emilia Smechowski (sonntaz) sowie Isabel Lott (Fotoredaktion). Im Hausblog findet sich auch ein Gästebuch, für das alle ReferentInnen und ModeratorInnen abgelichtet wurden – eine Aktion der ganzen taz – KollegInnen aus Verwaltung, Technik und Redaktion.

■ Viele taz-RedakteurInnen schrieben wie en passent die Texte vom Tage für taz.de, wo Daniél Kretschmar und Oliver Pohlisch das Dirigat innehatten. Zwei Profifotografen, die auch die Fotos auf dieser Seite schossen, waren beim taz.lab dabei: Wolfgang Borrs und David Oliveira.

Resonanzen? ausdertaz@taz.de

Wohlgemerkt, aus der offiziellen Übersetzung der amerikanischen Botschaft, auch dort steht mehr als einmal das Wort „Neger“. „Hör auf, das immer wieder zu sagen!“, schreit ein kleiner Junge aus dem Publikum. Die Situation eskaliert. Mehrere Menschen verlassen den Saal, auch Sharon Otoo steht vom Podium auf und geht.

Der fieseste Spruch „Geh bügeln.“ Kollege Yücel zu einer Besucherin, die wütend den Saal verlässt. Der bestaussehende Referent Sven Hillenkamp. Ziemlich hot, weil er das Gesicht eines Sonntagabendkommissars hat, weil er weiße Hemden trägt und aussieht, als würde er gut riechen. Nicht so hot, weil er das Ende der Liebe proklamiert. Und überhaupt ein paar polemische Thesen auf Lager hat. Die längste Schlange Es gibt nichts umsonst, auch nichts zu essen, auch keinen tazpresso. Trotzdem stehen die Menschen an, vor den meisten Veranstaltungseingängen. Oft gut 40 Meter. „Wir stehen an für die Liebe“, sagt ein junger Mann. Auch er ersehnt den Philosophen Byung-Chul Han. Der wird gleich beschreiben, wie wir verlernt haben, wirklich zu lieben. In Zeiten des Neoliberalismus gleichen wir uns zunehmend, sagt Han, und deshalb erleben wir keine wirkliche Erotik mehr. Wir wollten uns lieber im Anderen selbst bestätigen, als Drama zu leben. Soso! Moderatorin Tania Martini lächelt fein.