Der Westen bleibt warm
: Kommentar von Karsten Packeiser

Erfolgreich hat sich die Ukraine in den letzten Wochen in der Weltöffentlichkeit als Opfer russischer Machenschaften dargestellt und den Energiekonzern Gazprom als Erpresserbande gezeichnet. Dabei will Russland die Ukraine nur nicht mehr weiter zu den vor zehn Jahren vereinbarten Billigtarifen beliefern. Außerdem hat, anders als im Westen, die Revolution in Orange von Ende 2004 in Moskau keinerlei Sympathien für das Nachbarland hervorgerufen – im Gegenteil.

Dass sich der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko jetzt um die wirtschaftlichen Folgen der drastischen Tariferhöhungen sorgt, ist verständlich. Ihm stehen Wahlen zu einem Parlament bevor, dessen Rechte gegenüber der bisherigen Volksvertretung stark erweitert sind. Eine Revanche der Anti-Orange-Kräfte droht, denn Juschtschenkos Mannschaft ist durch Pannen, eine Wirtschaftskrise und interne Konflikte angeschlagen.

Der russisch-ukrainische Gaskrieg kommt zu dieser instabilen Zeit zwar unpassend. Er lässt sich aber instrumentalisieren. Denn Juschtschenko kann die Schuld für einen Teil der ukrainischen Probleme auf den russischen Gaspoker schieben; selbst prorussische Oppositionelle bezeichnen die von Russland geforderten Gaspreise als inakzeptabel. Zugleich werden die „westlich“ gesonnenen Wähler einmal mehr an die Gefahr erinnert, die ihnen angeblich aus dem moskaufreundlichen, russisch dominierten Osten des eigenen Landes droht. Damit lässt sich auch ein Teil der enttäuschten Anhänger der Revolution in Orange mobilisieren.

Eine Energiekrise in Westeuropa droht trotz der verfahrenen Situation nicht. Denn für alle Beteiligten steht viel auf dem Spiel: Gazprom hat sich in den letzten Jahr sehr angestrengt, um im Westen als seriöser Partner akzeptiert zu werden. Der Konzern könnte notfalls einen Teil der Lieferungen an die EU über Weißrussland umleiten, um seine Verpflichtungen zu erfüllen. Und sollte die Ukraine ihre Drohung wahrmachen und Transitgas für eigene Zwecke abzweigen, käme dies einem schweren Rückschlag für die von Jutschtschenko angestrebte Westintegration gleich. Auch diesen Preis wird der Präsident nicht bezahlen.