Einfach selbstbestimmt reisen

Um die Reiselust von Menschen mit Lernschwierigkeiten zu fördern, gibt es jetzt in Münster einen Stadtführer „in leichter Sprache“. Andere Städte in Nordrhein-Westfalen wollen nachziehen

AUS MÜNSTER MARCUS TERMEER

„Wir sind genauso reiselustig wie alle anderen auch“, sagt Josef Ströbl von “People first/Menschen zuerst“, einem 1974 in den USA entstandenen weltweiten Selbsthilfe-Netzwerk von „Menschen mit Lernschwierigkeiten“. Die Bezeichnung „geistig Behinderte“ lehnen sie als diskriminierend ab. Nur: Selbstbestimmtes Reisen für Menschen mit Behinderungen scheitert auch in NRW an vielen Barrieren. So etwa an einer zu schwierigen Sprache in öffentlichen Verkehrsmitteln, auf Hinweistafeln oder in Reiseführern. Für die Stadt Münster gibt es jetzt allerdings einen „Reiseführer in leichter Sprache“. Zielgruppe sind alle, „die nicht gut schwierige Texte lesen und verstehen können“. Der Führer bietet sechs touristische Routen und nützliche Adressen. Dazu gibt es eine CD zum Hören und Sehen.

Die Idee hatte eine Mitarbeiterin des herausgebenden Münsteraner Vereins „Zugvogel“. Das Angebot des Vereins richtete sich bisher hauptsächlich an körperlich behinderte Menschen: „Zugvogel“ bietet einen Urlaubsservice für RollstuhlfahrerInnen, erstellt einen Adressenpool über barrierefreie Unterkünfte im In- und Ausland, Reiseunternehmen mit integrativem Angebot und Pflegedienste und erarbeitet Reiseführer. Vor etwa fünf Jahren fiel Mitarbeiterin Gisela Holtz auf, dass es Derartiges für so genannte „geistig Behinderte“ nicht gibt.

Holtz und ihre Kollegin suchten die Touren aus – auf den Prinzipalmarkt, zum Schloss, zum „Sinnenpark“ des Alexianer-Krankenhauses oder zum Zoo – und schrieben die Texte. Diese wurden dann von Mitarbeitern von „People First“ in eine einfache Sprache übersetzt. Um die Erwartungen der Zielgruppe einzubeziehen, hat der „Arbeitskreis (AK) Freizeitpädagogik Münsterland“ 200 Fragebögen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen verteilt. „Das Interesse an solchen Stadttouren ist sehr groß“, sagt AK-Sprecher Bernhard Harborg. Und wenig überraschend deckten sich die Erwartungen der Menschen mit Behinderung durchaus mit denen der touristischen Allgemeinheit. Gefördert wurde der Reiseführer von der „Aktion Mensch“ als Pilotprojekt. Seit Mitte Dezember 2005 ist er allgemein erhältlich.

Auch in Dortmund und Hamm existieren laut „Zugvogel“ Pläne für einen solchen Stadtreiseführer. Schwierigkeiten gebe es aber mit dem Geld. Auch die Stadt Münster hatte dem Verein zwar umfangreiche ideelle Hilfe geleistet, Geld gab es aber auch von ihr nicht. „Wir fanden das eine tolle Idee. Aber der zweite Schritt ist immer die Frage der Finanzierung“, sagt die Behindertenbeauftragte Doris Rüter. Und die „Aktion Mensch“ fördert zwar solche Pilot-, aber keine Folgeprojekte.

Wie sieht es mit der Nachfrage aus? Hans Jürgen Wagner, NRW-Landesgeschäftsführer der „Lebenshilfe für Menschen mit geistigen Behinderungen“ geht für diese Gruppe von „höchstens zwei Prozent“ aus, denen selbstbestimmtes Reisen möglich sei. Es gebe aber um einen wachsenden „Teilhabeprozess“. Habor vom AK Freizeitpädagogik sieht vor allem die steigende Zahl alter Menschen mit Behinderung als Zielgruppe. „Auch Kinder können mit einem solchen Reiseführer bei Stadttouren die Führung übernehmen.“

Interessenten für das Buch gibt es offenbar genug: „In den vergangenen Wochen“, so Kirsten Faust von Zugvogel, „haben wir im Schnitt ein, zwei InteressentInnen pro Tag“ – sogar aus Süddeutschland.