Omelett gegen Müsli

Gehirne aus Schokolade und statistische Miniröcke: Nirgendwo sind Fußballsprüche witziger, markiger und unerbittlicher als in England, dem Mutterland des Kicks

Wann auch immer hierzulande Lothar Matthäus seine Mannschaft eine „gut intrigierte Truppe“ nennt, Berti Vogts „die Bayern gratuliert“ und Trainer Lorenz-Günther Köstner findet, die Seinen hätten „fehlende Cleverness vermissen lassen“, sind wir mittendrin in den Untiefen unfreiwilligen Humors und unvorteilhafter Anwendung lexikalischer und grammatikalischer Gesetzmäßigkeiten am Spielfeldrand. Derartige Verirrungen häufen sich, seit Reporter sich nicht mehr damit begnügen, die ein oder andere Anekdote zum Spielgeschehen in ihren Block zu kritzeln, sondern überforderten Innenverteidigern, rührigen Aushilfsplatzwarten und bedingt charismatischen Schiedsrichterassistenten pünktlich zur Halbzeitpause ungeniert ein Mikrofon in die entglittenen Gesichtszüge zu halten, um sie eingehend zum Spielverlauf und zu ihrer emotionalen Befindlichkeit zu befragen. Was soll da jenseits von „Ich sach mal …“ schon Gescheites herauskommen?

Das Mekka der wohlfeilen Fußballformulierung liegt allerdings sowieso in England. Nirgends sind die Sprüche markiger, nirgendwo punktgenauer formuliert, vernichtender und von größerem Erkenntnisgewinn geprägt. In erster Linie sind es natürlich die Spieler, die – mit heraushängender Zunge und vorzugsweise in Badelatschen und Ballonseide gewandet – Stilblüten allererster Güte und Zitate für die Ewigkeit produzieren. Da offenbart sich dann bisweilen eine geradezu rührende Naivität. So wartet Tony Adams, dereinst beinharter Abwehrspieler der englischen Nationalmannschaft, mit einem bemitleidenswerten Gewissenskonflikt auf, als er vor einem Länderspiel gegen die Niederlande zu seiner mentalen Vorbereitung auf das Duell mit dem Stürmer Dennis Bergkamp befragt wird: „Dennis ist so ein netter Mensch, ein wahrer Gentleman mit einer reizenden Familie. Es wird hart für mich, ihn treten zu müssen“.

Klamotten und Saufen

Auf die intellektuellen Fähigkeiten des gemeinen Ligaspielers fällt dann oftmals kein gutes Licht. Leicester-City-Spieler Robbie Savage etwa bekommt vom eigenen Pressesprecher zu hören, dass, wären Gehirne aus Schokolade, seines nicht einmal für einen bunten Smartie langen würde, und Joe Royle, in den Achtzigern Trainer von Oldham, soll auf eine Anfrage, ob er für eine wissenschaftliche Studie über Fußballspieler mit höheren Abschlüssen behilflich sein könne, geantwortet haben: „Bedauerlicherweise nein, zwei Jungs aus der Viererkette können nicht einmal lesen.“ Während sein Kollege Karren Brady aus Birmingham zu Protokoll gab, dass seine Spieler außerhalb des Platzes nur sehr überschaubare Interessen verfolgten: „Klamotten, Saufen, die Größe ihrer Schwänze.“ Und George Best aus der Weltmeistermannschaft von 1966 sinnierte dereinst über die Qualitäten von Enfant terrible Paul Gascoigne: „Er trägt die Nummer 10. Anfangs dachte ich, das sei seine Spielposition, dann stellte sich heraus, es war sein IQ.“ Oder, kurz und knackig auf die Frage, wie er Paul Gascoigne denn ansonsten charakterisieren würde: „George Best without brains.“

Ganz nebenbei quillt aus den Fußballsprüchen der eine oder andere Seitenhieb auf britische Eigentümlichkeiten und der Spieler beklagenswerten Lebenswandel. Das Fußballzitat als Spiegel zeitgenössischen Lifestyles. Die Ausgestaltung von Arbeit und Freizeit passt dann bisweilen in zwei Halbsätze: „Training in the morning and reading comics in the afternoon.“ Und Piers Morgan, Herausgeber des Daily Mirror, lässt sich zum Blackburn-Spieler Graeme Le Saux vernehmen: „Leute, niemand schert sich darum, ob er schwul ist. Was ihn zu einem der bestgehassten Spieler auf der Insel macht, ist die Tatsache, dass er freimütig bekennt, den Guardian zu lesen.“

Nirgendwo ist das Interesse an privaten Dingen größer als in England, die großbuchstabigen Massenblätter sind auf Schlüpfrigkeiten abonniert. So führt das Thema „Keine Frauen ins Trainingslager“ unweigerlich zu ausschweifenden Spekulationen: „Die Maßnahme soll uns zu Weltmeistern machen. In welcher Disziplin? Masturbation?“ Nicht von ungefähr steht immer wieder und vor allem der Paradiesvogel David Beckham im Mittelpunkt des Interesses und die Presse füllt drei Wochen lang Tag für Tag ein halbes Dutzend Seiten, die sich beharrlich um das Gerücht ranken, er trüge seiner Gattin Unterwäsche. Wir bekommen brühwarm zu hören, dass Victoria schwanger sei und David dafür – mit Blick auf den jüngsten Platzverweis – über Gebühr zu loben: „At least that’s one time David has stayed long enough.“

Schlimmer als mit verweichlichten und versnobten Fußballerdiven wird im Mutterland des Fairplay nur umgesprungen, wenn ein begründeter Verdacht der regelwidrigen Vorteilsnahme besteht. Oder jemand aus Deutschland kommt. Oder, schlimmer noch, beides. Das bekam keiner so zu spüren wie „Diver“ Jürgen Klinsmann zu seinen Zeiten bei Tottenham Hotspur, in denen er als „Schwalbenkönig“ in Ungnade fiel. „Ich sah mir ein Spiel der Deutschen im Fernsehen an“, kolportierte damals der Comedian Frank Skinner in seiner Show, „wollte mir einen Tee holen und stieß versehentlich gegen den Fernseher – und Klinsmann fiel um“.

In englischen Fußballsprüchen wird philosophiert, was das Zeug hält. Englischer und deutscher Fußball etwa verhielten sich zueinander wie Omelett zu Müsli (was auch immer das bedeuten mag), Spielstatistiken seien wie Miniröcke, die dir eine Idee geben und dennoch das Wesentliche verschweigen, Fußball sei wie ein Auto mit fünf Gängen und die Engländer nur deshalb so erfolglos, weil sie unentwegt im vierten oder fünften führen.

Der Superlativ hat in den Fußballbetrachtungen auf der Insel allemal einen festen Platz. Thierry Henry, Topstürmer von Arsenal anno 2004, sei, so jüngst im Daily Telegraph zu lesen, kein Geringerer als „der Unwiderstehliche“ und „Frankreichs gnadenlosestes Exekutionsinstrument seit der Guillotine“. Da will die Sunday Times nicht nachstehen. Überschrift nach dem Endspiel der Weltmeisterschaft 1970: „How do you spell Pelé? G-O- D.“

REINER LEINEN