WIE EINE VERANSTALTUNG ÜBER DISKRIMINIERUNG, ÄSTHETIK UND SPRACHE ESKALIERT,aLs DAS WORT „NEGER“ ZITIERT Werden soll: Ihr habt einen an der Waffel
DENIZ YÜCEL
Es gibt Geschichten, die man erzählen muss, auch wenn man selber darin vorkommt. Etwa diese: Die Kolumnistin Mely Kiyak, der Titanic-Chefredakteur Leo Fischer und die Autorin und Aktivistin Sharon Otoo diskutieren auf dem taz.lab über Diskriminierung, Ästhetik und Sprache. Die Veranstaltung endet mit einem Eklat. Gut zwanzig Menschen versuchen zu verhindern, dass der Moderator (ich) eine Passage aus einem historischen Dokument vorträgt. Die Gruppe beginnt einen Tumult und wird von einem nicht mehr ganz die Contenance wahrenden Moderator (auch ich) niedergebrüllt („Geht bügeln!“).
Der Text, mit dem der Moderator (wieder ich) den Ärger der zumeist studentischen Aktivisten auf sich zieht, ist Martin Luther Kings berühmte Rede aus dem Jahr 1963: „But one hundred years later, the Negro still is not free.“ In der Übersetzung der US-Botschaft: „Aber einhundert Jahre später ist der Neger immer noch nicht frei.“ Die antirassistische Aktivisten kreischen den Moderator (immer mich) an: „Sag das Wort nicht! Sag das Wort nicht!“ Schon zuvor halten sich einige von ihnen krampfhaft die Ohren zu, wenn die Moderation (also ich) die umstrittene Passage bei Otfried Preußler vorliest und dabei das Wort „Negerlein“ fällt. Ein zwangsneurotisches Verhalten, das man nicht unbedingt bei aufgeklärten Menschen vermuten würde und das an ganz andere Leute erinnert – an katholische Nonnen etwa, die versehentlich auf Youporn landen („Weiche, Satan!“). Oder an Hinterwäldler in Pakistan, die gegen ein paar Karikaturen protestieren („Death to Amerika!“).
Aber es ähnelt sich nicht nur der Abwehrreflex, es ähnelt sich auch der inquisitorische Furor, mit man zu Werke geht. In diesem Zusammenhang also: Das Wort Neger ist schlimm, schlimm, schlimm und muss weg, weg, weg. Und zwar ganz egal, ob in Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“, einem Buch, das von einem kolonialistischen Weltbild durchzogen ist, welches sich nicht wegretuschieren lässt, indem man „Negerkönig“ durch „Südseekönig“ ersetzt, oder in Mark Twains „Huckleberry Finn“, einem antirassistischen Roman, dessen Figuren aber so reden, wie im 19.Jahrhundert in den Südstaaten geredet hat. Es gibt keinen Respekt vor der Authentizität von Texten, für sie spielt es auch keine Rolle, zu welchem Zweck jemand die inkriminierten Vokabeln benutzt. Humor ist unbekannt, ebenso subversive Strategien von Aneignung und Umdeutung. Und inzwischen wird nicht allein das Schimpfwort „Nigger“ mit einem Bann belegt („N-Wort“), sondern auch das Wort „Neger“.
Und dennoch wäre es eleganter gewesen, wenn der Moderator der Forderung der Aktivisten nachgekommen wäre. Dann hätte ich Folgendes vorlesen können: „Aber einhundert Jahre später ist das N-Wort immer noch nicht frei. Einhundert Jahre später ist das Leben des N-Worts leider immer noch von den Handfesseln der Rassentrennung und den Ketten der Diskriminierung eingeschränkt.“ We shall overdone.
Mittwoch Matthias Lohre Männer
Donnerstag Ambros Waibel Blicke
Freitag Michael Brake Nullen und Einsen
Montag Kübra Gümüsay Das Tuch
Dienstag Julia Seeliger Alles Bio
Besser: Man wahrt Contenance, die jungen Leute studieren zu Ende und ich (der Moderator) schreibe eine längere Fassung für die Online-Ausgabe.
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