„Ein tiefes Bedürfnis“

GESCHLECHT Was männlich ist und ob Jungen besser unmännlicher wären, erklärt ein Soziologe

■ 54, ist Soziologe, Medizinjournalist und Schriftsteller. Ist Vater von zwei Kindern und lebt in Köln.

taz: Herr Neutzling, was ist Ihre männlichste Eigenschaft?

Rainer Neutzling: Das müssten andere beurteilen, Männlichkeit ist ja etwas sehr Subjektives. Ich bin nicht besonders groß oder muskulös. Ich habe auch eine Menge Eigenschaften, die gemeinhin Frauen zugeschrieben werden – zu Hause bin ich etwa fürs Kochen zuständig. Aber: Meine Kinder unterscheiden sehr stark zwischen mir und meiner Frau. Sie lieben es, mit mir hart, körperlich und laut zu raufen. Mit meiner Frau ist das so nicht möglich.

Kennen Sie das von Ihren Eltern?

Meine Mutter war eher kühl, mein Vater eher schmusig, was ja das klassische Bild von der zärtlichen Mutter und dem spröden Vater auf den Kopf stellt. Trotzdem sind beide immer noch sehr typisch Mann und Frau.

In Bremen-Hastedt wird heute ein Treff nur für Mädchen eröffnet. Ist das unfair?

Nein, wieso? Das wäre es nur, wenn man nichts für die Jungen täte. Man sollte das nicht gegeneinander ausspielen. Vor zehn Jahren noch konnte man sagen, die Mädchenarbeit hatte eine bessere Lobby. In Ostdeutschland steht derzeit die Jungenarbeit mehr im Vordergrund und die Mädchen hängen eher hinten dran.

Was sollten Jungen und Männer denn am dringendsten über sich lernen?

Ich meine nicht, dass Männer unbedingt etwas lernen sollen. Dieses Müssen und Sollen mag sowieso keiner, auch Frauen nicht. Aber die Gesellschaft entwickelt sich. Es gibt immer wieder neue Fragen des männlichen Alltags. Zum Beispiel, dass sie nicht abschalten können. Da ist die Frage, wie ich Männer sensibilisiere, die Grenzen ihrer Belastbarkeit wahrzunehmen. Es geht darum, auch für Männer Schutzräume einzufordern, vor zu starker Belastung, auch vor der Doppelbelastung der modernen Väter.

Sollte man dann nicht die Geschlechter-Einteilung, den Zwang nach Identität an sich in Frage stellen?

Sich einem Geschlecht zuzuordnen, ist keine Frage der Beliebigkeit. Meinem Eindruck nach wollen die Geschlechter sich unterscheiden. Das kann man kritisieren, aber es entspricht einem tiefen Bedürfnis. Bin ich gerne Mann oder Frau, ist damit ja keine Abwertung des anderen Geschlechts verbunden. Abzulehnen ist natürlich, wenn ich mich einem Geschlecht zuordne und gesellschaftlich von bestimmten Möglichkeiten ausgeschlossen werde. Das wäre dann Sexismus.INTERVIEW: JPB

18 Uhr, Haus der Wissenschaft