„Wir sind da flexibel“ „Wir nicht“

ENERGIE Ungleiche Bewerber: Der Vattenfall-Konzern will Betreiber des Stromnetzes bleiben, die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin will es gemeinsam mit dem Land übernehmen. Genossin Luise Neumann-Cosel und Vattenfall-Manager Helmar Rendez im Streitgespräch

■ 27, sitzt im Vorstand der Genossenschaft BürgerEnergie Berlin. Die Diplomgeoökologin war früher Pressesprecherin der Anti-Castor-Proteste im Wendland.

MODERATION SEBASTIAN PUSCHNER

taz: Herr Rendez, auf Plakaten wirbt Vattenfall damit, dass die Berliner froh sein könnten, sich nicht mit der Funktionsweise ihres Stromnetzes beschäftigen zu müssen. Warum?

Helmar Rendez: Die Berliner sind gewohnt, dass der Strom immer fließt. Die Stromversorgung ist eine Infrastruktur, die auf höchstem Niveau funktioniert. Dafür sorgen wir. Wenn Sie nach der letzten Stromunterbrechung fragen, erinnert sich der ein oder andere höchstens an einen blinkenden Digitalwecker. Die Unterbrechungszeit liegt im Schnitt bei 12 Minuten im Jahr.

Hätten Sie vor zehn Jahren gedacht, dass Sie sich jemals mit einer Bürgergenossenschaft auseinandersetzen müssen, wenn es um die neue Konzession für das Stromnetz geht?

Rendez: Damals waren wir im Jahr 5 nach dem neuen Energiewirtschaftsgesetz, da wurde gerade der Strommarkt liberalisiert. Vattenfall musste sich seitdem einem sehr, sehr starken Wettbewerb stellen. In Berlin gibt es einige hundert Betreiber großer und kleiner Kraftwerke. Es gibt 316 Stromanbieter, deren Kunden das Recht haben, innerhalb von drei Wochen zu einem anderen zu wechseln. Das muss ich als Netzbetreiber sicherstellen, auch dass das Netz so ausgebaut ist, dass jeder seine Photovoltaikanlage anschließen kann. Wir schließen jeden sofort an, das Kupfer ist in der Erde.

Frau Neumann-Cosel, wenn jeder Einspeiser schnell angeschlossen wird und das Stromnetz stabil ist – warum sollte uns dann interessieren, was hinter der Steckdose so los ist?

Luise Neumann-Cosel: Weil das Netz ein zentrales Element der Daseinsvorsorge ist. Wir als Bürger haben größtes Interesse daran, dass das noch in 50 Jahren funktioniert. Es geht auch darum, wie unser künftiges Energiesystem aussieht. Diese Frage wollen viele Menschen nicht wenigen Unternehmen überlassen.

Mit Ihrer Genossenschaft wollen Sie Bürger zu Besitzern des Netzes machen. Wie denn?

Neumann-Cosel: Die mit dem größten Interesse daran, dass das Netz funktioniert, sollen es besitzen und demokratische Einflussmöglichkeiten haben. Bei einer Genossenschaft hat jedes Mitglied eine Stimme. Es wäre ein spannendes Modell, das Netz als Genossenschaft und womöglich in Kombination mit der öffentlichen Hand zu betreiben. Mit dem Netz werden jährlich hohe Millionenbeträge erwirtschaftet. Die sollen nicht einfach abfließen wie derzeit, sondern sowohl der Energiewende zur Verfügung stehen als auch ein Stück weit an die Beteiligten zurückfließen.

Erst mal brauchen Sie Geld: Für das Netz würde eine Ablöse an Vattenfall fällig, dafür kursieren Beträge zwischen 400 Millionen und 3 Milliarden Euro.

Neumann-Cosel: Wir streben ja an, dass das Land beteiligt sein soll; das wollen auch SPD und CDU. Ihrem Beschluss nach soll Berlin mindestens 51 Prozent der Betreibergesellschaft gehören. Uns würde zum Beispiel eine Sperrminorität von 25,1 Prozent vorschweben. Zudem rechnen wir mit einer maximalen Eigenkapitalquote von 40 Prozent, der Rest soll über Kredite kommen. So reduziert sich die Summe, die wir sammeln müssen, ein wenig.

Wie viel haben Sie denn schon?

Neumann-Cosel: Nach ein paar Monaten stehen wir bei 5 Millionen Euro. Ein guter Anfang, aber natürlich brauchen wir mehr. Leider tappen wir, was Wert und damit Kaufpreis des Netzes angeht, im Dunkel. Da könnten Sie uns helfen, Herr Rendez.

■ 50, ist Diplomwirtschaftsingenieur und Geschäftsführer der Vattenfall-Töchter Stromnetz Berlin GmbH sowie Vattenfall Stromnetz Hamburg GmbH.

Rendez: Fairerweise müssen Sie erst mal sagen, dass es hier um das Wegenutzungsrecht für das Stromversorgungsnetz geht, das ausgeschrieben ist. Jetzt müssen wir wie alle Bewerber nachweisen, dass wir die Kompetenz besitzen, dieses Netz zu betreiben, und über eine abgesicherte Finanzierung verfügen. Ich gehe davon aus, dass wir die Netzkonzession wieder gewinnen, weil wir in Berlin, aber auch in Hamburg und Schweden nachgewiesen haben, dass wir das können. Sollte Vattenfall die Konzession nicht erhalten, wird im nächsten Schritt darüber gesprochen werden, dass wir das Netz dem neuen Konzessionär verkaufen.

Neumann-Cosel: Einspruch. Die Bewerber müssen in diesem Verfahren ja sicherstellen, dass sie das Ganze finanzieren können. Und das können wir nur dann darlegen, wenn wir wissen, über welche Summen wir reden. Auch Neulinge am Markt wie wir müssen ihr Recht auf diese Bewerbung wahrnehmen können.

Rendez: Mit dem, was wir an Daten herausgegeben haben, haben wir die Ansprüche der Bundesnetzagentur übererfüllt. In keinem anderen Konzessionsvergabeprozess in Deutschland ist zu diesem Zeitpunkt so viel veröffentlicht worden. Wenn Sie mit Fachkompetenz das Material durchgehen, können Sie den entsprechenden Wert abschätzen. Unsere Aufgabe ist es nicht, zum jetzigen Zeitpunkt eine Diskussion über den Preis zu führen.

Frau Neumann-Cosel, selbst wenn Sie den Preis wüssten: Wie soll ein Neuling den Betrieb des riesigen Netzes stemmen?

Neumann-Cosel: Die Beschäftigten, die jetzt am Stromnetz arbeiten, sollen das ja weiter tun. Diese Kompetenz übernähme der neue Konzessionär; das ist eine normale Form des Betriebsübergangs. Wir haben auch in unseren Gremien Kompetenz an Bord. Und wir werden mit einem technischen Partner zusammenarbeiten, der hilft, das sicher über die Bühne zu bekommen.

Rendez: Für die Berliner und vielleicht auch Ihre Genossen wäre es wichtig, dass Sie sagen, wer dieser technische Partner ist.

Neumann-Cosel: Das werden wir mit Sicherheit, nur Geduld.

Herr Rendez, Vattenfall selbst verfügt unbestritten über das nötige Know-how. Warum wollen trotzdem fast alle Fraktionen den Netzbetrieb in kommunale Hand holen?

Rendez: Mit Stromnetzen können Sie keine Energiepolitik machen. Der Netzbetreiber muss die gesetzlichen Vorgaben umsetzen. Das tun wir. Was die Energieversorgungskonzerne, auch wir, leidvoll gelernt haben, ist, stärker auf die Bürgerinnen und Bürger einzugehen. Wir stellen uns jetzt den Diskussionen.

Wie denn?

Rendez: Wir pflegen die Partnerschaften mit den Kommunen, bereiten uns auf deren Entwicklungen vor. In Spandau machen wir gerade das Netzgebiet für 125 Millionen Euro fit, weil es dort viele Leute mit Einfamilienhäusern gibt, die sich Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen einbauen wollen; da müssen wir für Verstärkung sorgen. Die neue Europacity hinterm Hauptbahnhof, die Tempelhofer Freiheit sind Entwicklungsgebiete, wo dezentrale, erneuerbare Energien eine große Rolle spielen.

■ Für diesen Samstag lädt BürgerEnergie Berlin zum Netzgipfel: In Workshops geht es um die Versorgung Berlins mit zu 100 Prozent erneuerbaren Energien sowie Wege zu bürgernahen Unternehmen.

■ Außerdem stellen sich Vertreter der Bewerber um das Berliner Stromnetz den Fragen der Initiatoren des Energie-Volksbegehrens und der Bürgergenossenschaft. Die Antworten unterzieht der Aachener Energieexperte Wolfgang Zander einem Faktencheck.

■ Die Veranstaltung findet von 11 bis 18 Uhr in der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Badensche Straße 50–51 in Schöneberg statt. Anmeldung: buerger-energie-berlin.de/netzgipfel (sepu)

Vattenfall will in den nächsten zehn Jahren 1,4 Milliarden Euro in die Infrastruktur des Netzes stecken. Was halten Sie davon, Frau Neumann-Cosel?

Neumann-Cosel: Das ist ja nicht Vattenfalls Geld, sondern Geld, das jeder Berliner als Netzentgelt mit der Stromrechnung bezahlt. Die Investitionen muss jeder tätigen, egal welches Logo draußen an der Tür klebt, darauf achtet die Bundesnetzagentur ganz genau.

Rendez: Sie sagen immer, Sie würden das Ganze ökologisch umbauen. Sagen Sie doch mal konkret: Wo ist das Netz nicht fit für die Energiewende? Wo leben wir hinterm Mond?

Neumann-Cosel: Ich habe nie behauptet, dass Sie hinter dem Mond leben. Viele Ihrer Investitionsentscheidungen sind sicher richtig. Aber es gibt zwei Grundsatzfragen: Was geschieht mit dem Gewinn aus dem Netz? Und wie steht es um die grundsätzliche Ausrichtung des Betreibers?

Der jährliche Gewinn der Netztochter von Vattenfall lag von 2007 buis 2011 bei durchschnittlich 28 Millionen Euro.

Neumann-Cosel: Das ist das offizielle Ergebnis. Wir wissen aber zum Beispiel gar nicht, was die am Stromnetz ebenfalls tätige Servicegesellschaft an Gewinn macht. Das bleibt bei diesem ansonsten sehr transparenten Netzbetreiber im Verborgenen. Die Frage ist aber auch, was man am Ende mit dem Gewinn tut.

Machen Sie einen Vorschlag.

■ Wer darf vom 1. Januar 2015 an das Berliner Stromnetz betreiben? Darüber entscheidet die Senatsverwaltung für Finanzen, allerdings in einem diskriminierungsfreien, transparenten Wettbewerbsverfahren nach Kriterien des Energiewirtschaftsgesetzes: Ziel ist die sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Versorgung mit Elektrizität, Spielraum besitzt der Senat bei der Gewichtung dieser Kriterien.

■ Beworben haben sich das neu gegründete landeseigene Unternehmen Berlin Energie, die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin, der holländische Kommunalkonzern Alliander, das chinesische Staatsunternehmen State Grid sowie die Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin. Sie alle können sich aber auch eine Partnerschaft mit dem Land vorstellen. Für letztere Variante interessieren sich auch die Stadtwerke Schwäbisch-Hall sowie die Thüga-Gruppe, hinter der ein Netzwerk von 100 kommunalen Stadtwerken steht.

■ Interessant ist das stark regulierte Netzgeschäft, weil ein effizienter Betrieb eine solide Rendite garantiert. Frühestens September 2014 entscheidet der Senat über die Konzession. Das Parlament muss zustimmen. Die Netz-Rekommunalisierung ist ein Ziel des laufenden Volksbegehrens „Neue Energie für Berlin“. (sepu)

Neumann-Cosel: Nichts spricht dagegen, einen Teil in einen gemeinnützigen Fonds zu investieren. Damit könnte man nachhaltige Stromerzeugung finanzieren, auch Energiesparprogramme. Und es geht um die grundsätzliche Ausrichtung des Netzbetreibers. Natürlich halten Sie sich an die Regeln, Herr Rendez. Aber was, wenn die sich ändern? Wenn der Einspeisevorrang für die Erneuerbaren wegfällt?

Rendez: Dann wird es ein anderes Gesetz geben, das festlegt, wie ein Netzbetreiber das umzusetzen hat. Das können wir nicht beeinflussen, da hat kein Netzbetreiber Gestaltungsspielraum.

Neumann-Cosel: Aber in solch einem Fall ist umso wichtiger, dass wir einen Netzbetreiber haben, der konsequent hinter der Energiewende steht. Und Vattenfall hat Tochtergesellschaften, die nach wie vor Braunkohletagebaue betreiben und Strom in Kohlekraftwerken, zum Teil in Atomkraftwerken produzieren.

Schmieden Sie doch eine Allianz des wechselseitigen energiepolitischen Lernens, um das Stromnetz zu betreiben.

Rendez: Zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens in Berlin dürfen wir gar keine Allianzen schmieden, also hat Kaffeesatzleserei jetzt keinen Sinn. Aber in Hamburg haben wir gezeigt, dass wir flexibel sind. Dort sind wir eine Partnerschaft mit der Stadt eingegangen. Die hat sich an der Wärme- und Stromversorgung mit 25,1 Prozent beteiligt, aber im Aufsichtsrat sitzen genauso viele Vertreter von Vattenfall wie von der Stadt. Und beide Seiten stimmen alle Investitionen einvernehmlich ab.

Neumann-Cosel: Wir wollen die Energiewende voranbringen, an dieser einen Stelle sind wir nicht flexibel. Und da drängt sich Vattenfall mit seinem Erzeugungs- und Kraftwerksportfolio als Partner nicht auf.

■ Eine ausführliche Version dieses Streitgesprächs finden Sie im Internet unter www.taz.de/stromnetz