Publikumslauf bis zum Ende

Fassungslos erleben die Einwohner von Bad Reichenhall, wie Bilder, die sie nur aus dem Fernsehen kennen, in ihrem Heimatort Realität wurden

AUS BAD REICHENHALL MAX HÄGLER

Es ist still an der Münchner Allee am Stadtrand von Bad Reichenhall. Der Verkehr ist weiträumig abgesperrt, ab und an zieht ein Hubschrauber seine Kreise, einige Anwohner stehen still am Flatterband, keiner der zehn Suchhunde bellt.

Dabei liegen noch mindestens vier Menschen unter den tonnenschweren Trümmern der Bad Reichenhaller Eishalle. Rund zwanzig Stunden ist es her, dass sie zusammengestürzt ist, gerade - es ist Mittag - wurden die Leichen Nummer zehn und elf geborgen. Keiner kann sich so recht vorstellen, dass sie noch leben, zu viele Meter Schutt liegen über ihnen. Auch die Maschinen schweigen, die riesigen Baukräne stehen still. Sechs von ihnen stehen am Rande der Katastrophe, versuchen zu halten, was kaum zu halten ist. Ihre langen orangen Ausleger sind bis ans Ende ausgefahren, an ihren Stahlseilen hängt ein Teil des Daches. So groß sie wirken, wenn sie einem auf der Straße begegnen, so klein sind sie im Vergleich zur Bad Reichenhaller Eishalle. 75 mal 48 Meter ist sie groß und vielleicht zwanzig Meter hoch, ein riesiger Komplex aus Glas, Beton, Holz und Metallplatten - oder besser ein Haufen aus Glassplittern, gebrochenen Holzbalken und verbogenem Metall, der diesen Gebäuden ähnelt, die man aus dem Fernsehen kennt nach Erdbeben im Iran oder in der Türkei. Aber es war die Eishalle des oberbayerischen Kurorts Bad Reichenhall.

„Das ist der Inhalt unserer Stadt“, sagt Bärbel Berger und schaut fassungslos auf den Geröllhaufen, der 200 Meter vor ihrer Terrasse aufragt. „Oder besser: Das war der Inhalt unserer Stadt. Wie schön war das immer, als die Kinder abends entlang gefahren sind und man ihnen durch die großen Fenster zuschauen konnte. Oder wenn die jungen Leute ihre Eisdisco hatten und die bunten Lichter rausgestrahlt sind.“ 66 Jahre ist Berger alt, seit 1987 wohnt sie in Bad Reichenhall, einer Stadt die berühmt geworden ist wegen ihrer Salzbergwerke und dem Watzmann. Oft kommen ihre Enkel zu Besuch. „Heuer waren sie nicht da, sonst wären sie sicher auch beim Eislaufen gewesen.“

Am Montag, ziemlich genau um 16 Uhr brach das Dach unter der Schneelast auf seiner gesamten Länge von 60 Metern zusammen. Genau mittig, dort, wo die Statiker den Druckpunkt gesetzt hatten. Doch zu schwer war der Schnee, der sich wohl meterhoch in der winkligen Rinne gesammelt hatte. Durchnässt war er, wie es Lawinenexperten nennen - so feucht, dass man das Wasser herausdrücken kann. Es ist der schwerste Aggregatzustand, den die Natur bilden kann. Er war ein Risiko, wie wohl auch manche Verantwortlichen wussten. Während der Publikumslauf bis zum regulären Ende um 16 Uhr stattfand, sagte der örtliche Eishockeyclub sein Training ab. Nach Angaben des Reichenhaller Tagblatts erhielt der Vereinsvorstand am Montag Nachmittag zwischen 14 und 15 Uhr die Nachricht, dass die Halle wegen Einsturzgefahr gesperrt werden solle. Daraufhin habe der Verein einen Rundruf gestartet, um die Kinder davon zu informieren, der freie Eislauf wurde dagegen nicht abgebrochen. „Ich verstehe nicht, warum die Halle nicht sofort komplett gesperrt wurde“, so Vorstandsmitglied Petra Rumpeltes. Bürgermeister Wolfgang Heitmeier (Freie Wähler) versucht zu erklären. Nach menschlichen Ermessen habe keine akute Gefahrenlage bestanden, daran hätte auch die Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdienstes nichts geändert. Nach Messung der Schneemenge auf der Hallendecke haben man die Halle zwar vorsorglich sperren wollen, aber noch einen Zeitpuffer gesehen. „Es ist bei uns die Entscheidung gewesen, dass man sich nicht an irgendwelche Grenzen bewegt. Es war eine nachvollziehbare Entscheidung.“ Klaus Wolf kann das nicht nachvollziehen. Auch er steht am Absperrband und schaut den Rettungskräften zu. Seit zwölf Jahren wohnt der Rentner mit seiner Frau in dem 18.000-Seelen-Ort und als bergbauerfahrener Ruhrpöttler wundert er sich über die offensichtliche Fahrlässigkeit mit der die Halle betrieben wurde: „Gäste haben berichtet, dass die Balken geknirscht haben vorher - da verlässt man doch den Ort!“ Und er spricht offen aus, was viele zur taz sagen in diesem Ort: „Das war grobe Fahrlässigkeit, die damit zu tun hat, dass die Stadt kein Geld mehr hat.“ Für viele Millionen wurde ein neues Freizeitzentrum errichtet, um den Tourismus anzukurbeln. „Jetzt ist die Stadt verschuldet und hat kein Geld mehr für die Renovierung des Bürgerbades.“

Ob das stimmt, oder die Halle eine Fehlkonstruktion war, das werden die Ermittlungen der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft zeigen. „Aber noch nicht heute“, erklärt Oberstaatsanwalt Helmut Vordermayer. „Heute ist nicht der Tag der Ermittlungen, sondern der Tag der Trauer und der Hoffnung.“ Im Laufe der Nacht zum Mittwoch werden die Rettungskräfte wieder mit der Suche fortfahren, unterstützt von einer Spezialfirma, denn für die Feuerwehr ist der Zugang untersagt, zu gefährlich sind die Trümmer. „Wir werden solange suchen, bis wir alle vermissten Personen gerettet oder geborgen haben.“ Und dann verweist er noch auf das Erdbeben in der Türkei. „Damals wurden Menschen noch nach vier Tagen gefunden.“