„Oh, ich bin ganz schön zickig“

Anne Will, 39, ist eine der erfolgreichsten politischen Journalistinnen im deutschen Fernsehen. Die „Tagesthemen“-Moderatorin sagt: „Frauen neigen dazu, sehr selbstkritisch zu sein, manchmal bis hin zur Selbstverleugnung.“ Moment, Frau Will! War 2005 nicht das Jahr für Frauen? Das taz-Gespräch über Kanzlerin Angela Merkel, Kollegin Sabine Christiansen und Beziehungsgespräche

VON SUSANNE LANG
UND JAN FEDDERSEN

taz: Frau Will, wir würden uns gerne über Frauen unterhalten.

Anne Will: Oh, und da bin ich Spezialistin?

Dachten wir, ja. Frank Schirrmacher zählt Sie doch zu seiner vermeintlichen Männerdämmerung.

Im Fernsehen sind Frauen sichtbar vertreten, das stimmt, aber dass er mich als Beispiel nimmt! Die „Tagesthemen“ haben seit nunmehr 18 Jahren eine Anchorfrau. Über Frauen in Führungspositionen ist damit leider nichts gesagt.

Wir haben nun die erste Kanzlerin. War 2005 ein gutes Jahr für Frauen?

In gewisser Weise schon: Wir haben offen Debatten darüber geführt, ob eine Frau im Kanzleramt anders agiert oder nur anders wahrgenommen wird.

Was denken Sie?

Die Wahrnehmung ist anders. Ein schönes Beispiel war das Fernsehduell zwischen Frau Merkel und dem damaligen Kanzler, meiner Meinung nach der erste Moment, in dem die Auseinandersetzung Mann versus Frau als Subtext mitlief. Der Kanzler war deshalb ungewöhnlich nervös.

Weil ein Junge Mädchen nicht schlägt?

Genau. Er wusste, er würde Frau Merkel nicht so abkanzlern können, wie er es mit Edmund Stoiber gemacht hat. Andererseits muss nun Frau Merkel in ihre Rolle finden, ohne auf männliche Machtsymbolik zurückgreifen zu können.

Gibt es einen Unterschied für Sie als Interviewerin, wenn Sie nun mit einer Kanzlerin sprechen?

Nein. Bei aller Begeisterung für eine Frau im Kanzleramt darf man nicht übersehen, dass Frau Merkel zuvor auch schon Spitzenpolitikerin war und zigfach Interviews im Fernsehen gegeben hat.

Sie sagten einmal, dass Frauen zumindest anders interviewen als Männer: aus Neugierde, und nicht aus Selbstbestätigungsdrang. Reagieren befragte Frauen auch anders?

Auch das ist eine Typfrage, nicht unbedingt eine des Geschlechts. Wie geschickt verhält sich jemand im Interview? Das hängt mit Talent und Inszenierungsdrang zusammen. Und da gibt es natürlich Unterschiede. Es ist ja kein Geheimnis, dass der Altkanzler einen ausgeprägteren Inszenierungsdrang hatte als Frau Merkel.

Wie haben Sie die Elefantenrunde gesehen? Da hat der Junge ja doll draufgehauen.

Meine Lesart ist – danach würde ich die Kanzlerin allerdings gerne mal fragen –, dass sie die ganze Situation gar nicht genau mitbekommen hat, sie scheint mir in einem ganz anderen Film gewesen zu sein.

Was war der Titel des Films?

„Ich will hier raus“? Keine Ahnung. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass ihr bewusst war, dass Schröder ihr die Kanzlerschaft angetragen hat, ohne das zu wollen.

Meinen Sie nicht, dass Angela Merkel immer wusste, dass man in der Bundesrepublik mit Frauenfeindlichkeit nichts werden kann?

Sie ist durch die DDR-Sozialisation geprägt, daher war dies wohl kein Thema für sie. Zudem war sie sich sicher bewusst, dass es strategisch unklug ist, die Frauenfrage selbst zum Thema zu machen.

Wie fanden Sie die Initiative „Frauen für Merkel“?

Mich interessieren die politischen Inhalte; wofür Frau Merkel steht.

Gab es ARD-intern keine Diskussion über Sabine Christiansen als Unterstützerin von Merkel, Moderatorin und Kommentatorin des TV-Duells?

Davon weiß ich nichts.

Wie fanden Sie denn ihre Kommentierung, als Thomas Roth sie mit der Frage „Wie war’s denn, Sabine?“ zuschaltete?

Die Schalte in die Runde „Christiansen“, war absolut richtig. Es war das Fernsehereignis, und die ARD hat es durch den ganzen Abend gezogen. Das finde ich klug.

Na ja, Christiansens überraschende Einschätzung lautete, Frau Merkel habe gewonnen.

Gemessen an den Erwartungen an sie, hat sie sich jedenfalls gut geschlagen. Wie übrigens gemeinsam mit Maybrit Illner im Interviewquartett auch.

Klar, nichts Böses von Ihnen über eine Kollegin. Nur: Eine Einschätzung von der Unterstützerin Christiansen, Merkel sei besser gewesen, war doch nicht unbedingt objektiv, oder?

In der Tat war es kurios, dass sich an dem Abend alle Journalisten einig waren und Merkel als Gewinnerin sahen. Aber dann könnten Sie mir denselben Vorwurf machen.

Okay. Was sagen Sie dazu?

Ich habe mich zum Beispiel gefragt: Hätten wir zu Uli Jörges …

dem Berliner Chef des Stern, der fast ekstatisch ein Merkel-Loblied anstimmte …

… also, hätten wir eine Gegenposition setzen müssen? Die Zuschauer haben das Duell ja anders bewertet.

Warum haben Sie nicht?

Wenn ein politischer Journalist sich so positioniert, machen sich die Zuschauer ihre eigenen Gedanken, und das war ja auch so. Denn sie haben das Duell ja anders bewertet. Offenbar sind wir manchmal ganz schön betriebsblind. Aber eigentlich war es doch auch ein schönes Zeichen.

Das müssen Sie uns erklären.

Na, offensichtlich haben die Zuschauer ihre eigene Wahrnehmung – unabhängig von unserer Lesart. Zugespitzt heißt das: Wir senden manchmal auch fröhlich am Zuschauer vorbei. Damit können und müssen wir selbstkritisch umgehen.

Haben Sie eigentlich auch eine Support-Anfrage für Merkel bekommen?

Ja, habe ich.

Wollten Sie aber nicht?

Nein. Das kann und möchte ich nicht machen als „Tagesthemen“-Moderatorin.

Entspricht Sie denn Ihrer politischen Einstellung?

Dazu kann ich schlauerweise auch nichts sagen.

Wo ziehen Sie dann die Grenze? Wenn man eine politische Talkshow moderiert, darf man sich positionieren?

Nein, für den politischen Journalismus halte ich es noch mit dem alten Hajo-Friedrichs-Prinzip, das ich ansonsten seiner Zeit entrückt finde: Man sollte sich nicht gemein machen.

Auch nicht für die Sache der Frauen?

Nun ja, Alice Schwarzer sagt zum Beispiel, die Emanzipation sei erst dann vollendet, wenn sie nicht immer wieder neu für die Sache der Frau eintreten müsse.

Und was sagt Anne Will?

Ich finde das auch. Man kann ja nicht sagen, dass die Emanzipation vollendet wäre. Es gibt zum Beispiel keine einzige Vorstandsvorsitzende in Deutschland.

Emma -Leserin?

Abonnentin. Und das gerne.

Warum lächeln Sie? Darf man das nicht mehr sein?

Doch, sicher. Ich musste lachen, weil ich hier auf meinen Emma-Stapel deuten wollte, und dann liegt da die Bunte.

Auch im Abo?

Ja.

Haben Sie je für Ihre Karriere gekämpft?

Hmm. Es wäre jetzt typisch weiblich zu sagen, dass das alles nur Glück und Zufall war. Selbstverständlich habe ich dafür gekämpft, indem ich meine Kompetenzen geschärft habe. Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass es günstige Momente in meinem Lebensweg gab.

Wie wichtig sind Mentoren für die Karrieren von Frauen? Es scheint, als wären sie bei Männern kein Thema.

Da ist was dran. Männer sprechen nie von Mentoren, Frauen dagegen benennen sie selbst; und wenn die Karriere erfolgreich verlief, ernennen sich noch fünf andere Männer selbst zu Mentoren. Vielleicht neigen Frauen dazu, sehr selbstkritisch zu sein, manchmal bis hin zur Selbstverleugnung.

Hatten Sie Mentoren?

Tataa – um Ihre These zu bestätigen: Ja, ich hatte tatsächlich einen: Jochen Sprentzel, den Sportchef des damals noch existierenden SFB. Er hat mich überhaupt erst auf die Idee gebracht, im Fernsehen zu moderieren. Ich würde sagen, ich bin sehr gefördert worden, ja. Aber mir kann keiner erzählen, dass er ohne Reibungsverluste überall durchgerast ist. Ich glaube, ich habe da Distanz zu mir selbst.

Mhm.

Das glauben Sie mir jetzt nicht, was?

Doch. Es ist nur, weil sie gerade so sehr lachen. Man liest immer über Sie und von Ihrer sympathischen rheinischen Fröhlichkeit – das eint Sie ja mit Heidi Klum, nicht wahr?

Ja? Weiß nicht. Klum hat mir eins voraus: Sie durfte schon im Kölner Karneval auf dem Prinzenwagen mitfahren.

Ah, Ihre Liebe zum Karneval. Sie haben mittlerweile ja echte Markenzeichen – ideale Brands in der Medienwelt. Wie auch Ihre linke Augenbraue.

Gegen einen gewissen Wiedererkennungswert kann man sich aber nicht sperren, wenn man jeden Abend in den Wohnzimmern auftaucht. Ich betreibe aber kein Brandbuilding mit der Augenbraue.

Genießen Sie Ihren Erfolg?

Ja, doch. Das letzte Jahr zum Beispiel ist echt gut gelaufen. Ich habe schöne Sachen gemacht, war gut gelaunt.

Laune ist wichtig?

Klar! Deshalb tue ich auch was dafür. Ich laufe viel, das tut mir gut und ich kann mir permanent vor Augen führen, dass ich mich leicht bewegen kann und wie gesund ich bin. Das kommt jetzt so rheinländisch großmütterlich daher …

Oh ja, man könnte auch sagen: joschkaesk …

… aber es stimmt doch: Die Gesundheit ist die Hauptsache.

Wie sind Sie, wenn Sie schlechte Laune haben?

Oh, ich bin ganz schön zickig.

Passiert Ihnen das auch in Interviews?

Nein, nie. Wenn mich nervt, dass jemand nicht antwortet, merke ich an, dass das keine Antwort auf die Frage war. Ich führe ja keine Beziehungsgespräche, sondern politische Interviews.

Gute Interviews sind doch Beziehungsgespräche.

Ach was?

Im Ernst: Was zeichnet ein gutes Interview aus?

Ich glaube Empathie. Selbst bei einem Spitzenpolitiker, der sehr viele Techniken kennt, um hinter seiner Funktion zu verschwinden. Ein gutes Interview lebt von guten Fragen und dem Umgang mit den Antworten.

Also doch wie bei einem Beziehungsgespräch.

Wenn man auf diese Weise ein Beziehungsgespräch führt, macht man sich schnell unbeliebt. Ich weiß, wovon ich rede – mir passiert das manchmal.