Kampagne gegen Bulgarien

In Brüssel kursiert ein ominöses Papier, das dem Balkanstaat wegen Korruption komplett die EU-Reife abspricht. Wer das Papier erstellt hat und warum, ist unklar

Mittlerweile hat die EU-Kommission die Urheberschaft für den Bericht dementiert

BERLIN taz ■ Bulgarien steht normalerweise nicht im Zentrum des deutschen Medieninteresses. Seit kurzem ist das anders – jedoch eher zum Ärger denn zur Freude der politisch Verantwortlichen in Sofia.

„Bulgarien zu kriminell für die EU?“, fragte die Bild wenige Tage vor Weihnachten und schlug Mafia-Alarm. Kürzlich sei in Brüssel ein Geheimbericht aufgetaucht, teilte das Blatt seinen Lesern mit. Dieser attestiere dem Land absolut mangelnde EU-Beitrittsreife.

Am 2. Januar 2006 schaffte Bulgarien – ein Land, das viele mit Wörtern wie Joghurt, Schafskäse und Billigtourismus an der Schwarzmeerküste für erschöpfend beschrieben halten – sogar den Sprung auf die Titelseite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Unter der Überschrift „In der EU neue Skepsis über Bulgarien“ referiert der Autor den Inhalt des Bild-„Geheimpapiers“, wobei das Dokument zu einem internen Bericht der Kommission mutiert ist.

Anders als in Deutschland bisher wahrgenommen habe sich in Bulgarien weder unter der derzeitigen noch der Vorgängerregierung in Sachen Bekämpfung organisierter Kriminalität, Justiz- sowie Strafprozessordnungsreform etwas getan, heißt es da. Die Gründe dafür sieht der Verfasser in nach wie vor intakten und für beide Seiten profitablen Verbindungen zwischen der politischen Klasse und kriminellen Strukturen ehemaliger kommunistischer Staatssicherheitsorgane. „Der Druck der EU zu Reformen in diesem Bereich kann nicht viel bewirken. Die Vorstellungen dazu in der EU sind oft naiv, denn selbst mit gutem Willen würde es Jahre dauern, solch strukturell verankerte Korruption und Kriminalität zu bereinigen“, ist in dem Dokument zu lesen. Zudem wird bemängelt, dass von 80 Auftragsmorden nicht ein einziger zur Anklage gebracht wurde.

Abschließend erwähnt der Bericht auch die Volcker-Kommission der UNO. Deren Untersuchung des Oil-for-Food-Skandals habe ergeben, dass an illegalen Geschäften mit Iraks einstiger Diktatur Saddam Hussein seinerzeit auch die Sozialistische Partei Bulgariens (BSP), die heute den Staats- und Regierungschef stellt, beteiligt gewesen sein soll.

Mit Ausnahme des letzten Punktes enthält das angeblich so geheime Papier jedoch nichts, was sich nicht schon im Monitoring-Bericht der EU-Kommission zu Bulgarien vom 25. Oktober 2005 wiederfindet. Zu den Bereichen, die die EU extrem beunruhige und vonseiten Sofias ein sofortiges Handeln erfordere, gehöre der effizientere und aktivere Kampf gegen Korruption und das organisierte Verbrechen. „Die Verantwortlichen in Bulgarien werden mit Nachdruck aufgefordert, nichts unversucht zu lassen, um den bestehenden Defiziten abzuhelfen“, stellt die Kommission fest.

Sie wird im kommenden Frühjahr den endgültigen Fortschrittsbericht vorlegen, der darüber entscheidet, ob Bulgarien zum 1. Januar 2007 EU-Mitglied wird. Im Falle eines negativen Votums, das einstimmig erfolgen muss, wird der Beitritt maximal um ein Jahr verschoben.

Mittlerweile hat die Kommission die Urheberschaft für das Papier dementiert. Insider gehen davon aus, dass der Autor in Sofia selbst zu suchen ist. „Das könnten Kräfte in Bulgarien sein, die den EU-Beitritt verzögern wollen, um länger ihren illegalen Geschäften nachgehen zu können“, vermutet ein Beobachter vor Ort. Auch Enttäuschung von Vertretern der Opposition, die sowohl mit der Regierung unter dem sozialistischen Premier Sergei Stanischew als auch mit der Zaren-Partei von Simeon Sakskoburggotski noch eine Rechnung offen haben, könnte ein Motiv sein. Das Problem seien jedoch nicht die bekannten Fakten, sondern der Umstand, dass das Papier der Regierung jegliche Fähigkeit zu Reformen abspreche und bereits erreichte Fortschritte komplett ausblende, sagt der Beobachter.

Dennoch springen deutsche Medien mit Begeisterung auf den Zug auf – mit möglicherweise fatalen Folgen. „Derartige Kampagnen stärken die europafeindlichen Kräfte in Bulgarien“, sagt der Beobachter. Einer der möglichen Nutznießer: Der Nationalist und Antisemit Volen Siderow, der mit seiner kruden Protestpartei Ataka bei den Wahlen 2005 auf Anhieb über 8 Prozent erreichte. BARBARA OERTEL