„Cash für Arbeitslose, das reicht nicht mehr“

Die Sozialdemokratin Ulla Burchardt verlangt statt Lohnkostenzuschüssen nachhaltige Investitionen in den Sozialstaat. Für sie heißt das: mehr Geld für Bildung. Bund und Länder sollen 200.000 LehrerInnen und DozentInnen einstellen

Frau Burchardt, verraten Sie gerade Ihre sozialdemokratischen Wurzeln?

Ulla Burchardt: Nein, warum meinen Sie das?

Sie lehnen Lohnkostenzuschüsse für Geringqualifizierte ab, wie sie die Union will. Und das als Sozialdemokratin.

Ich will eine nachhaltige Offensive gegen Arbeitslosigkeit, das ist SPD pur. Es geht nicht darum, Geringqualifizierten nur Cash in die Hand zu drücken. Das reicht nicht mehr. Wenn wir die Arbeitslosigkeit strukturell abbauen wollen, brauchen wir mehr Geld für Bildung. Nur so können wir das Sozial- und Wohlstandsmodell der Bundesrepublik überlebensfähig machen.

Sie wollen keine Sozialtransfers mehr?

Doch, das brauchen wir selbstverständlich noch. Aber die wesentliche Verteilungsfrage ist heute nicht mehr die von Sozialtransfers, sondern von Bildungschancen. Das bedeutet, massiv in den Ausbau des Bildungssektors zu investieren – aber nicht in Kombilöhne.

Was heißt das konkret?

Wenn Bund und Länder 200.000 Arbeitsplätze für Lehrpersonal schaffen, schlagen sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Es entstehen nachhaltige Jobs, also sozialversicherungspflichtige, hochqualifizierte Arbeitsplätze in Kindergärten, Schulen und in der Weiterbildung. Und wir sorgen vor, dass unser Qualifikationsniveau nicht weiter stagniert.

Wieso? Werden die Deutschen etwa dümmer?

Die OECD sagt es freundlicher. Fakt aber ist: Rund 10 Prozent der Schüler verlassen die Hauptschule ohne Abschluss, ein Drittel hat Misserfolgserfahrungen, zu Deutsch: Diese Schüler bleiben sitzen oder werden auf niedrige Schularten runtergestuft. Das, was wir als individuelles Scheitern von Geringqualifizierten begriffen haben und jetzt mit Lohnzuschüssen bekämpfen sollen, wird in Wahrheit in Schulen vorprogrammiert.

Das Jobpotenzial der jetzt Niedrigqualifizierten wird hoch eingeschätzt. Kombilöhne könnten da helfen.

Nur ist es, finanziell gesehen, ein Fass ohne Boden. Zuschussjobs wirken kurzzeitig und beseitigen das strukturelle Problem nicht. Es nützt der Gesellschaft nichts, Geringqualifizierte in solchen Jobs zu halten. Wir müssen das Bildungsniveau anheben. Das würde die Deutschen klüger und innovativer machen …

und sie schnell in Lohn und Brot bringen?

Kombilöhne wirken auch nicht von heute auf morgen. Wir müssen das stagnierende Qualifikationsniveau, geringes Wachstum und die hohe Arbeitslosigkeit zusammendenken. Wir können diesen Zusammenhang nur mit einer neuen Bildungsexpansion auflösen.

Kann der Bund überhaupt dafür sorgen, dass das Geld da ankommt, wo Sie es hinhaben wollen: bei neuen LehrerInnen und ErzieherInnen?

Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin haben sich in die Hand geschworen, die Probleme des Landes zu lösen. Ich gehe davon aus, das war ernst gemeint.

Die geplante Föderalismusreform wird dem Bund verbieten, für Lehrer und Dozenten Geld auszugeben.

Aber der Geist dieser Reform ist, nicht mehr im Zuständigkeitshickhack stecken zu bleiben.

Wie kommt Ihr Zukunftsengagement bei den joblosen Arbeitern Ihres Wahlkreises an?

Gut. Die WählerInnen haben mich per Erststimme in den Bundestag geschickt. Dortmund ist das Beispiel für Strukturwandel. Alte Industrien werden von Wissenschaft und High Tech abgelöst. Dortmund ist keine Industriebrache, sondern Wissenschaftszentrum und Hauptstadt mittelständischer Mikrosystemtechnikunternehmen. Für das ganze Land heißt das: Wir müssen in Chancen zu Bildung investieren, nicht in Konsum.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER