Gazprom kassiert, Kiew regiert
: KOMMENTAR VON KARSTEN PACKEISER

Russland und sein Gazprom-Konzern haben sich im Erdgaskrieg mit der Ukraine weitgehend durchsetzen können. Der Machtkampf, den ganz Europa mit Unbehagen beobachtete, ist offenbar beendet. Russland wird in Zukunft nicht mehr die ukrainische Wirtschaft mit billigen Gaslieferungen sponsern. Mit dem ausgehandelten Kompromiss können aber auch die Ukrainer leben. Sie zahlen zwar künftig für diese Bezüge den Weltmarktpreis, erhalten aber Liefersicherheit, und zugleich bleibt die nationale Souveränität gewahrt: Die russische Seite ist damit gescheitert, die ukrainischen Pipelines zu übernehmen, die Westeuropa mit Energie versorgen – eine solche Machtpolitik war Gazprom in Weißrussland noch gelungen.

Auch die Europäer können aufatmen. Die Energieversorgung des Westens ist nicht mehr von dem Bruderzwist im Osten bedroht. Rechtzeitig haben sowohl die Ukraine als auch Russland begriffen, welche Ausmaße der Konflikt hätte annehmen können, wenn die Gaslieferungen an Westeuropa ins Stocken geraten wären. Dafür ist in allen betroffenen Ländern eine neue Atomdebatte ausgebrochen. Hinsichtlich der Ostsee-Pipeline ist das Ergebnis gemischt. Einerseits hat der kurzfristige Druckabfall gezeigt, wie störend Ärger auf der Transitstrecke sein kann. Andererseits ist die Abhängigkeit vom russischen Erdgas auch für die west- und mitteleuropäische Öffentlichkeit plötzlich zum energiepolitischen Problem geworden.

Doch auch nach dem Gaskompromiss gibt es in den russisch-ukrainischen Beziehungen noch einen ganzen Berg ungelöster Probleme. Die Ukraine muss sich vor allem ganz grundsätzlich entscheiden, ob sie weiter auf eine vage Chance hoffen will, irgendwann einmal der EU beizutreten, oder aber als Mitglied des „gemeinsamen Wirtschaftsraums“ wieder engere Bindungen mit Russland einzugehen.

Auch ein Jahr nach der orangenen Revolution gibt es in dem Land weder für den einen noch für den anderen Weg eine deutliche Mehrheit. Die Ukrainer träumen vorerst weiter davon, als echte Europäer anerkannt zu werden. Doch das ändert nichts daran, das Russisch für die meisten von ihnen die Muttersprache ist.