Eine queere Wundertüte

Isländisches Skrimsl trifft auf Kreuzberger Drag-Original: Das „Basso Magazin“ des Grafikers Yusuf Etiman widmetsich sexuellen und anatomischen Grauzonen, verzichtet dabei aber wohltuend auf die üblichen lüsternen Bildstrecken

Wenn man zweimal hinschaut, ist die Verwirrung bereits perfekt: Das Schwarz im Basso Magazin ist nicht wirklich schwarz, sondern sehr dunkelblau, das Weiß geht stark in Richtung Eierschale, und die Frau auf der Rückseite ist nicht wirklich eine Frau. Voilà, die ersten Uneindeutigkeiten. Denn darum geht es: Basso verhandelt queere Sujets, die in etablierten Publikationen zu kurz kommen. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. In erster Linie ist Basso nämlich ein Gemeinschaftsbüro in der Nähe des Schlesischen Tors, in dem der Grafiker Yusuf Etiman einen wöchentlichen Jour fixe organisiert. Immer mittwochabends sitzt er dort mit seinem Freundeskreis zusammen, schaut alte Filme, lädt Autoren zu Lesungen ein oder lässt DJs aus der Panorama-Bar Platten auflegen.

Die Idee, ein eigenes Magazin herauszugeben, sei spontan aus diesem Kontext heraus entstanden, erklärt Etiman. Und zwar, als er vor der Entscheidung stand, für eine gemeinsam mit Freunden geplante Japanreise eine stattliche Summe auf den Kopf zu hauen. „Nein, ich mache lieber ein Magazin“, hat er sich damals gesagt. Fünf Minuten später war eine E-Mail an 50 Freunde verschickt, mit der Aufforderung, Beiträge einzusenden. Nun präsentiert Basso Magazin # 1 zum Thema „sexuelle Ambiguität“ eine erstaunliche Bandbreite: Abgeschriebenes, Ausgedachtes, Gedichtetes, Gemaltes, Geträumtes, Politisches und Intimes. Etiman versteht das Heft – das im handlichen DIN-A5-Format, zweifarbig gedruckt (dunkelblau und hellbraun) und mit 999 nummerierten Exemplaren erscheint – als eine Art Display seines gesamten Umfeldes, das durchzublättern ist.

Die im Titel postulierte Ambiguität zeigt sich bereits darin, dass Basso zugleich mit deutsch- und englischsprachigen Texten erscheint. So reiht sich ein Auszug aus Beatriz Preciados „Kontrasexuellem Manifest“, in dem die Autorin kühn ansetzt, den Penis als aufkeimende Vagina zu dekonstruieren, an einen wunderbar verschrobenen Beitrag von Islandspezialist Wolfgang Müller, der in einem alten Buch die Geschichte des sagenhaften isländischen Monsters Skrimsl fand. Mit sexueller Ambiguität hat dieses Skrimsl indes wenig zu tun – abgesehen davon, dass sein Phantombild frappierende Ähnlichkeit mit modernem Sexspielzeug aufweist.

Für weitere Ausschweifungen sorgt der Disco-DJ Daniel Wang, der von der Japanreise, die Herausgeber Etiman nicht antrat, eine köstliche Reportage über die Saunaszene Tokios mitbrachte, in der die Dresscodes Amok laufen. Und auf der Rückseite dann das 1985 entstandene Foto von Gerhard „Gabi“ Kasischke, einem Kreuzberger Kiezoriginal, das stets im Faltenrock herumlief und Pfandflaschen einsammelte. Das unglamouröse Ende von Drag gewissermaßen, und dennoch lächelt Kasischke auf dem Bild, als sei er das schönste Mädchen der Welt.

Kurzweilig und doch ernsthaft setzt sich das Basso Magazin mit sexuellen und anatomischen Grauzonen auseinander, findet dabei zu jedem Text treffende, nicht lüsterne Bebilderungen. Es wirkt wie ein Zwitter aus akademischem Wälzer, Poesiealbum und Kunstedition. Eine wahrhaft queere Wundertüte also.

Die zweite Ausgabe, die im Februar erscheinen wird, hat Etiman unter das Motto „Travelling without moving“ gestellt. Der Begriff aus David Lynchs „Dune“ beschreibt das Reisen in all seinen mentalen und substanziell beschleunigten Formen. Für diese Ausgabe möchte Etiman das angenehm schwer und samtig in den Fingern liegende „Munken Extra“-Papier, das er für sein Magazin gewählt hat, mit zwei anderen Farben bedrucken: Dunkelgrün und Flieder. JAN KEDVES

„Basso Magazin # 1“, u. a. bei Pro qm (Alte Schönhauser Str. 48), b_books (Lübbener Str. 14) oder Barbara Wien (Linienstr. 158); www.basso-berlin.de