Den Überlebenden droht der Kältetod

Im pakistanischen Erdbebengebiet erschwert starker Schnee die Hilfsmaßnahmen und bedroht die Überlebenden. Die meisten der 300.000 Zelte sind nicht winterfest, und die selbst gebauten Öfen bergen die Gefahr von Bränden und Rauchvergiftungen

AUS ISLAMABAD NILS ROSEMANN

Im nordpakistanischen Erdbebengebiet ist zu den seit Wochen anhaltenden kalten Temperaturen inzwischen der Schnee gekommen. Wurde der Wintereinbruch seit längerem erwartet, so überraschte doch seine Intensität. Drei Tage lang schneite es oberhalb von 1.200 Meter. „Einige Zelte sind unter den Schneemassen zusammengebrochen, da sie nicht ordnungsgemäß aufgestellt wurden,“ sagt Morgan Morris vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in Muzaffarabad.

In den Niederungen wie in der vom Erdbeben verwüsteten Stadt Batagram setzte der Regen Zeltstädte unter Wasser und verwandelte Verteilstellen für Hilfsgüter in Schlammseen. Die schlechte Witterung ließ die Hilfsmaßnahmen vorübergehend zum Erliegen kommen. Erst nach drei Tagen konnten Hilfstransporte mit Helikoptern wieder aufgenommen werden. Weiterhin sind einzelne Täler wegen neuer Erdrutsche von der Außenwelt abgeschnitten.

Aus anderen Regionen des Himalaja wie der nordöstlichen Gultari Region, in denen der Winter schon seit Wochen mit Schnee und zweistelligen Minusgraden herrscht, gab es diese Woche mehr als 40 Tote, überwiegend Kinder. Meldungen über zwei tote Kinder in einem Zeltlager von Islamabad zeigen, dass der Kältetod seinen Weg in die Niederungen des Erdbebengebiets gefunden hat.

Immer deutlicher wird, dass Hilfsorganisationen und staatliche Stellen vor einer nicht zu bewältigenden Aufgabe stehen. Weiterhin sind 75 Prozent der Behausungen für die Überlebenden nicht winterfest, was überwiegend Zelte betrifft. Um die ungewohnte Abhängigkeit zu vermeiden, zieht es der Großteil der 3,5 Millionen Obdachlosen vor, in behelfsmäßig hergerichteten Unterkünften auf ihrem eigenen Grund und Boden zu überwintern. Sie benötigen jedoch Werkzeuge und Baumaterial. Wegen des Schnees und der Unzugänglichkeit der zerstörten Regionen laufen die Erdbebenopfer Gefahr, aus dem Blick zu geraten.

Das Welternährungsprogramm (WFP) erklärte, es habe zwar ausreichend Nahrungsmittel, es fehle aber Geld, sie zu verteilen. Wieder wird die anhaltende Unterfinanzierung der Hilfe zum Überlebensrisiko. Die Finanzierung des UN-Blitzappells vom Oktober steht derzeit bei 55 Prozent. Den Hilfsorganisationen stehen statt der benötigten 552 Millionen nur 304 Millionen Dollar zur Verfügung. In einzelnen Bereichen wie etwa bei Unterkunft und Gesundheit betragen die Zusagen sogar nur 32 beziehungsweise 18 Prozent der benötigten Mittel. Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge leben 1,9 Millionen Erdbebenopfer in 300.000 Zelten. In zwei Dritteln der Zelte werden selbst gebaute Kocher und Öfen vermutet, die schon zu tödlichen Bränden oder Rauchvergiftungen geführt haben. Deshalb plant das UNHCR die Verteilung von 40.000 Öfen und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) den Aufbau von Wärme- und Gemeinschaftszelten. Wie UNDP dies finanzieren will, ist jedoch unklar, da bereits bestehende Projekte nur zu 27,2 Prozent finanziert sind.

Unter den Erdbebenopfern wächst die Furcht, den Winter nicht zu überleben. Angst vor Unterbrechung der Hilfsversorgung führte in Kokliot zu Plünderungen eines Lagerhauses. Internationale Hilfsorganisationen beendeten darauf dort die Hilfe. Pakistans Armee und Verwaltung wollen Sicherheitsmaßnahmen wie Patrouillen und eine Melde- und Begleitpflicht für Hilfsorganisationen einführen. Doch dies könnte die Flexibilität einschränken.

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