Du wirst ein Vogel sein

TUTEN UND BLASEN Die Hamburger Mense Reents und Jakobus Siebels kennen sich aus Teenagerjahren. Zusammen sind sie die experimentelle Trompetentechnocombo Die Vögel. Zum Tanz in den Mai kommen sie nach Berlin

Die Vögel sind ihrem feiernden Publikum meist um ein paar Jährchen voraus

VON CARLA BAUM

Jakobus Siebels hat sich eine weiße Plastikposaune gekauft. „Die kann nicht kaputtgehen“, schwärmt er und schlägt sie zum Beweis gegen den Tisch. „Tolles Ding.“ Klingt auch gut, wie sich beim Jungfernauftritt der Vögel ein paar Tage später zeigt. Dort steht die Posaune zunächst neben Klarinette, Tuba, Trompete und Melodica beim DJ Pult und entlockt dann bei ihrem ersten Einsatz der tanzenden Menge einen Jauchzer.

Blasinstrumente, auch die ungewöhnlichen und vordergründig nicht pop-, geschweige denn clubtauglichen wie Tuba und Flöte, tuten bei den Vögeln über den Dancefloor und sind zu ihrem Markenzeichen geworden. 2008 war „Blaue Moschee“, ein eingängiger Tuba- und Trompetentechnotrack, die erste Veröffentlichung auf DJ Kozes neu gegründetem Label Pampa. 2011 folgte „Fratzengulasch“, auf dem sich zu den Blasinstrumenten deutscher Text gesellt.

„Ich hab mir ausgedacht, du wirst ein Vogel sein“, so beginnt der auf den hüpfenden Beat gelegte, dadaistisch anmutende Gesang, der bei Auftritten längst auswendig mitgeträllert wird. Gesungen von Ebba Durstewitz, Bandkollegin bei JaKönigJa und Ehefrau von Jakobus Siebels, klingt das viel liebevoller und verspielter, als es der harte Name des Tracks, ein Begriff aus der Szene für das verzerrte Gesicht nach Drogenkonsum, vermuten lässt. Damit sei ihnen wirklich „ein kleines Meisterwerk gelungen“, findet Mense Reents. Falsche Bescheidenheit scheint im Hause Pampa nicht zum guten Ton zu gehören, sagte doch DJ Koze unlängst Selbiges über sein neues Album „Amygdala“ (siehe die taz vom 23. März).

Das Bedürfnis, den komischen, undefinierbaren Zustand der Nacht oder des frühen Morgens willkommen zu heißen, trifft in den Tracks der Vögel auf seine Erfüllung. „Das Konkrete macht keinen Spaß in der nächtlichen Situation“, erklärt Mense Reents das Funktionieren der abstrakten Worte und kauzigen Musikinstrumente, „es muss Platz da sein für den Hörer, für den Tänzer“. In dieser Erkenntnis scheinen Die Vögel einigen Kollegen wie Deichkind und Co., die ihre Feierwut unzweideutig dem übersättigten Publikum entgegenschreien, um einiges voraus zu sein.

Dennoch ist es ein enges und musikalisch nicht ganz einfaches Terrain, auf dem sich Die Vögel bewegen. Einen „Eiertanz“ nennt Siebels den schmalen Grat, auf dem ihre Stücke im Club funktionieren, wo es darum geht, die Beine der Tänzer in Bewegung zu halten, ohne auf musikalische Freiheiten und das Brechen mit Konventionen zu verzichten. „Wir probieren viel aus“, sagt Reents, „uns interessiert etwa, wie es aussehen könnte, wenn man minutenlang die Bassdrum rauslässt und nur mit akustischen Instrumenten arbeitet.“ Immer wenn es zu genremäßig klingt, wird eine andere Richtung eingeschlagen. Auf gar keinen Fall wollen Die Vögel, dass sich ihre Tracks eindeutig in eine Schublade, stehe auf dieser nun Deep House oder Trompetentechno, einordnen ließen.

Sie haben einen künstlerischen, quasi avantgardistischen Anspruch. Durch die damit verbundene Arbeitsweise unterscheiden sich Die Vögel von DJs, die ihre Tracks im stillen Kämmerlein am Laptop zusammenbasteln. Die beiden Multiinstrumentalisten treffen sich von jeher im Proberaum. Schon zu ihrer Schulzeit in Ostfriesland spielten sie gemeinsam in einer Schülerband, Anfang der 1990er zog es beide nach Hamburg, wo sie mit Siebels Bruder Jimi die L’Age d’Or Band Das Neue Brot gründeten. Der Stadt und ihrer vom Umfeld der Hamburger Schule geprägten Szene sind sie seither treu geblieben – Reents spielte bei Egoexpress, Stella und heute noch mit den Goldenen Zitronen, Siebels gründete JaKönigJa. 2007 bekam Siebels, der auch als Künstler arbeitet, auf der „Off-Documenta“, dem Festival Bürgerstolz und Stadtfrieden in Kassel, Besuch von Reents. Es fand ein spontaner gemeinsamer Auftritt statt, der seitdem als die Geburtsstunde der Vögel gilt.

Im Sommer kommt die dritte Maxi, deren Tracks den Vögel-Kosmos noch ausweiten sollen. Irgendwann werde es auch ein Album geben, sagen beide. Ein Ende ist also nicht in Sicht, obwohl Die Vögel ihrem feiernden Publikum meist um ein paar Jährchen voraus sind. „Mensch, ich bewundere dich, dass du in deinem Alter noch so coole Musik machst“, habe letztens ein junger Kerl nach einem Auftritt zu ihm gesagt, erzählt Siebels, lacht und zieht an seiner Pfeife. Reents indes hat sich gerade sein erstes Handy angeschafft. Mit einem Bein – Ersthandy, Pfeife und staubigen Instrumenten – im Vorgestern, mit dem anderen einen Schritt voraus, das scheint eine ziemlich Erfolg versprechende Kombi zu sein.

■ Die Vögel live, 30. April, ab 18.00, P.O.P (Party Obsessed People), Kleine Präsidentenstraße 4 a