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Ein israelischer NapoleonKOMMENTAR VON URI AVNERY

Ariel Scharon war ein israelischer Napoleon. Seit Jahrzehnten lebte er in der absoluten Überzeugung, dass er der einzige Mensch ist, der Israel retten und die Geschichte seines Landes für Generationen bestimmen kann. Für ihn war sein persönliches Schicksal mit dem Schicksal des Staates Israel identisch – ein Gegner Scharons war automatisch ein Gegner Israels.

Gerade jetzt war er an der Schwelle der absoluten Macht, die es ihm ermöglicht hätte, seine Ideen zu verwirklichen. Meinungsumfragen bestätigten, dass seine neue Partei „Vorwärts“ einen großen Sieg in den kommenden Wahlen erringen und alle anderen Parteien mehr oder weniger zertrümmern würde. Diese Situation hätte es ihm ermöglicht, praktisch als Alleinherrscher zu regieren. Er wollte die (ungeschriebene) Verfassung Israels ändern und ein nationalistisches, populistisches Präsidialsystem einführen.

Was hätte er mit dieser Macht angestellt? Sein Programm war seit Jahren klar: Anschluss von mehr als der Hälfte des Westjordanlands an Israel, machtlose palästinensische Enklaven in den übrigen besetzten Gebieten, Abzug der Siedler aus diesen Restgebieten. All dies ohne Verhandlungen und Verständigung mit den Palästinensern, aber in Vereinbarung mit den Amerikanern. Darum war die Zeit so wichtig: Es musste bis zum Ende der Amtsperiode von George W. Bush erreicht werden.

Jetzt war alles klar, der Weg war endlich frei, er konnte hoffen, die Weichenstellung für die nächsten Generationen von Israelis vorzunehmen, so wie David Ben Gurion 1948 dies für das heutige Israel getan hat. In den letzten Wochen hat seine massive Figur praktisch den ganzen öffentlichen Raum Israels gefüllt. Für andere – sei es Benjamin Netanjahu vom Likud-Block, sei es Amir Peretz von der Arbeitspartei – war kein Platz mehr da. In den Medien fungierte nur noch Scharon, umgeben von Schmeichlern, Opportunisten und Karrieristen aller Arten.

Seine Stunde war gekommen, und plötzlich ist sie zu Ende. Gerade als er im Zuge war, sein Lebensziel zu erfüllen, hat ihn das Schicksal ereilt.

Der Autor, 1923 in Beckum (Westfalen) geboren, ist israelischer Friedensaktivist, Träger des Alternativen Nobelpreises und des Palästinensischen Preises für Menschenrechte

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