Ohne Lafontaine: Hat die Linke im Westen noch Chancen?
JA

PARTEIEN Im Schnellverfahren hat die Linkspartei ihre Spitze neu besetzt. So soll sie auch ohne Lafontaine zusammengehalten werden

Hans Modrow, 72, war DDR-Ministerpräsident und ist Ehrenvorsitzender der Linken

Chancen können verspielt, aber auch genutzt werden. Lafontaine hat sie genutzt und der Linken mit auf den weiteren Weg gegeben. Seine Neujahrsrede in Saarbrücken kann als Wegweiser verstanden werden. Alle politischen Kernfragen, durch die die Linke im Westen neue Räume gewonnen hat, sind darin formuliert. Wenn es beim Erfolg bleiben soll, gehören diese Fragen – soziale Gerechtigkeit, Schluss mit dem Kriegseinsatz, die Einheit parlamentarischen und außerparlamentarischen Kampfes – in den Mittelpunkt des Rostocker Parteitages im Mai. Chancen im Westen bewahren bedeutet keinen Boden im Osten verlieren. Wenn die Linke von diesen Inhalten her ihren Wahlkampf in NRW führt, wird sie Erfolg haben. Vor der Wahl wäre zu prüfen, für welche Inhalte Personen stehen. Lafontaine hat den Maßstab für Erfolg vorgegeben. Wer auch immer nach einer Funktion strebt, muss sich daran messen lassen.

Lucy Redler, 30, im Vorstand der Sozialistischen Alternative (SAV) und Exmitglied der WASG

Ja, aber nur dann, wenn die Partei gegen Sozialabbau, Privatisierungen und Stellenabbau kämpft und konsequent auf der Seite der Lohnabhängigen und Erwerbslosen steht. Das kann die Linke aber nur, wenn sie nicht selbst in Regierungen wie in Berlin und Brandenburg den Sozial- und Stellenabbau mitbetreibt, sondern sich den Kapitalinteressen entgegenstellt und sozialistische Positionen vertritt. Die Partei muss vor allem Widerstand dagegen aufbauen, dass Beschäftigte, Erwerbslose und Jugendliche für die Kosten der kapitalistischen Krise zahlen. Der gemäßigte Parteiflügel will den Rückzug Lafontaines nutzen, um die Partei auf Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen einzuschwören. Das muss verhindert werden. Niemand braucht eine zweite SPD. Wenn schon Sozialdemokratie, dann eine, die sich an den Ideen und dem Programm von Rosa Luxemburg orientiert.

Konstantin Wecker, 62, Liedermacher, Schauspieler, 2009 im Wahlkampf für Die Linke

Ich lebe ziemlich gut ohne Parteibuch, aber Oskar Lafontaine kenne ich persönlich – ein feiner und sehr kluger Mann. Wie man ihn jahrelang diffamiert und zur Unperson erklärt hat, das war niederträchtig. Und selbstverständlich bedeutet Lafontaines Rückzug, dass da einer fühlbar fehlt. Die eilfertigen Nachrufe auf die Linkspartei sind aber auch dieses Mal nichts weiter als Wunschdenken gewisser Kreise. Zunächst einmal hat sich an den Erfolgsbedingungen der Linken leider ja nichts geändert. Vielleicht würde sie überflüssig, wenn die kapitalistische Krise plötzlich zu einem stürmischen Aufschwung für alle mutiert, die schwarz-gelbe Antisozialpolitik und der Afghanistankrieg aufhören würden … ? Außerdem bin ich ganz sicher, dass der glänzende Rhetoriker Klaus Ernst – den kenne ich als bayerischer Revoluzzer nämlich auch ganz gut – zu Hochform auflaufen und sich zusammen mit der sympathisch-kompetenten Gesine Lötzsch als Idealnachfolge für Gregor/Oskar an der Parteispitze erweisen wird.

Robert Langer, 48, Justizvollzugsbeamter a. D., hat seinen Kommentar auf taz.de gestellt

Die SPD feiert das Ende der Linken. Frau Kraft möchte in NRW ohne die Linken Schwarz-Gelb im Mai ablösen, und die Grünen schauen in NRW mal nach rechts. Hessens Koch feuert die Stammtische an, und Millionen leiden unter Arbeitslosigkeit und Hartz IV. Über 70 Prozent der Deutschen sind gegen den Krieg in Afghanistan, aber die Bundesregierung befiehlt mehr Soldaten ins Chaos. Der Atomausstieg wird verschoben, und der Pharmaindustrie werden mal eben Millionen Euro durch eine Pseudopandemie zugeschustert. Die Linke am Ende? Die Linke wurde noch nie mehr gebraucht als jetzt. Und das ist auch einer nicht geringen Zahl an Wählern klar!

NEIN

Dr. Hubertus Knabe, 50, Historiker, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

Nicht Personen, sondern soziale Interessen bestimmen die Geschichte – so lautet ein alter Glaubenssatz des Marxismus. Die Linkspartei hat ihn eindrucksvoll widerlegt. Als Gabriele Zimmer im Jahr 2000 den Parteivorsitz übernahm, ging es mit der Partei rasant bergab. In den Medien firmierte die spröde Ex-SED-Funktionärin bald als „Zonen-Gabi“, in der Partei brachen heftige Flügelkämpfe aus. Bei der Bundestagswahl 2002 scheiterte die PDS an der Fünfprozenthürde. Nach dem Rückzug von Lafontaine und Bisky ist eine ähnliche Entwicklung zu erwarten. Klaus Ernst, der tumbe Gewerkschaftsfunktionär aus Schweinfurt, bekam schon wenige Stunden nach seiner Nominierung das Label „Macho-Bayer“ aufgedrückt (Die Zeit). Gesine Lötzsch, das blonde Dummchen aus der Stasi-Hochburg Berlin-Lichtenberg, wurde schlicht als „Mutti“ tituliert (Frankfurter Rundschau). Beide haben nicht annähernd das Format, Lafontaine zu ersetzen. Das wird die Partei zuerst im Westen spüren. Denn dort gibt es keine Stammwähler, die sich ihre kuschelige DDR zurückwünschen. Schon bei den NRW-Wahlen dürfte es deshalb knapp werden.

Prof. Dr. Paul Nolte, 46, ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin

Nach dem Abgang von Lafontaine steht die Linke im Westen erheblich geschwächt da. Ihre Chancen sinken, ihre Wahlerfolge schrumpfen – man wird es in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai sehen. Zwar ist die West-Linke nicht, wie es oft heißt, eine bloße Schöpfung Lafontaines. Dafür steckt in ihr zu viel originäre Stimmung an der sozialen Basis, die aus den Protesten gegen Hartz IV und aus dem linken Gewerkschaftsmilieu erwachsen ist. Aber das reicht nicht für eine breite und stabile Wählerschaft. Lafontaine war das Identifikationsgesicht für enttäuschte WählerInnen; Klaus Ernst wird das auch im Ruhrgebiet nicht werden können. Und Lafontaine überdeckte eine Programmatik, die im Westen zwischen ungeklärt und unrealistisch schwankte. Mit der Linken im Osten ist das nicht zu vergleichen: Dort ist sie viel tiefer verwurzelt (wie immer prekär man das historisch findet, denn auch die Grüße der Stasi gehören dazu) und pragmatisch aufgestellt; Gesine Lötzsch ist eine gute Wahl. Wenn ich der Linken für den Westen ihrer Doppelspitze einen personalpolitischen Rat gegeben hätte, dann den: Holt einen im Osten geläuterten Wessi wie Bodo Ramelow zurück! So aber kommt die Fünfprozentgrenze wieder in Sicht.

Carl Wechselberg (SPD), 41, ist Abgeordneter in Berlin, bis 2009 für Die Linke

Mit der Demontage des Bundesgeschäftsführers Dietmar Bartsch und Oskar Lafontaines Rückzug aus der Politik eskaliert in der Linken der Prozess der Selbstdestruktion. Insbesondere der designierte neue Bundesvorstand illustriert beispielhaft den erreichten Grad an Zerstrittenheit und Unfähigkeit, tatsächliche Integration der verschiedenen Lager zu erreichen und personell umzusetzen. Und das ist überhaupt keine Überraschung, sondern seit langem strukturell angelegt. Lafontaines Abgang ist bedeutsam, weil er diesen Prozess deutlich beschleunigt. Meine Überzeugung ist deshalb, dass das Bündnis aus WASG und PDS nicht nur im Westen dauerhaft keine Chance hat. Die Gesamtpartei zerlegt sich gleich komplett. Das kann dauern – hässlich wird es in jedem Fall. Die Widersprüche und Probleme liegen dabei im Grundsätzlichen. Zu keinem Zeitpunkt ist die PDS/Linke im Osten in ihrer politischen Praxis je über einen sozialdemokratischen Politikrahmen hinausgelangt. Im Westen hat sich die WASG/Linke allerdings genau dagegen konstituiert und ist im Kern eine destruktive Protestformation. An der Entscheidung zwischen Sozialdemokratie und Sektierertum kommt die Linke deshalb auf keiner Ebene vorbei. Die Linke ist eben gerade keine „neue politische Kraft“, sondern führt die tradierten Grundkonflikte der linken Bewegung zwischen „Reform und Revolte“ nur erneut auf. Die SPD hingegen erhält eine neue Chance, wenn sie Härte und Offenheit klug kombiniert. Der Rest ist Geschichte.