Die extreme Rückständigkeit

Bei der diesjährigen Stunksitzung in Köln führt ein Sketch über den neuen Papst zu bösen Reaktionen der Kirche

Mag der Kölner Kardinal Meisner noch so sehr hampeln und strampeln – beim Buhlen um die Gunst der Weltjugendtagspilger hat er keine Chance gegen den neuen Papst. Doch der Liebe zwischen den beiden Brüdern im Geiste tut das keinen Abbruch: Sie landen sie zum Kuscheln im Bett – ein Akt mit Folgen.

Das Foto dieser Szene steht am Ende eines Sketches der aktuellen Kölner „Stunksitzung“ und erregte Hannelore Bartscherer, Vorsitzende des Kölner Katholikenausschusses. Nachdem sie es als Illustration zur Premierenkritik im Kölner Stadt-Anzeiger gesehen hat, informierte sie sich bei „zuverlässigen Bekannten“ erst einmal über die ganze Nummer. Dann kam ihre öffentlichen Stellungnahme: Der Sketch sei unmöglich, geschmacklos und unter der Gürtellinie. „Da sehe ich meine Kirche durch den Dreck gezogen“, wetterte sie. Unterstützung erhält sie von Hans Conrad Zander. Der Autor und innerkirchliche Meisner-Intimfeind sieht auch eine „Verletzung des Anstands“. „Gut möglich, dass etwas vorliegt, was sonst dem zolibatären Klerus vorgeworfen wird: Die Alt-Obernarren der Stunksitzung leiden offensichtlich an lebenslanger pubertärer Retardierung“, schreibt er. Statt sich „mit billigen Lachern über die Kirche zu profilieren“, sollten die alternativen Karnevalisten über eine Änderung des Sketches nachdenken.

Der Empfehlung zum Nachdenkens sind die Stunker inzwischen nachgekommen. Ergebnis: Alles bleibt, wie es ist! „Das Ende des Sketches ist eine Reaktion auf die lebenslange extreme Rückständigkeit der Kirche in ihrem Verhältnis zur Sexualität“, sagt Stunksitzungs-Sprecher Winnie Rau der taz. Aktueller Anlass für diese Szene sei die jüngste Erklärung des Vatikans, wonach schwule Priester praktisch Berufsverbot erhalten. Das Erzbistum Köln will sich nicht zu der strittigen Szene äußern. „Das würde den Sketch unnötig aufwerten und nur für zusätzliche Publicity sorgen“, sagt ihr Sprecher Manfred Becker-Huberti.

Die haben die Stunker nicht nötig. Offiziell sind die Sitzungen bis zum Karnevalsdienstag lange ausverkauft. Aus dem Geheimtipp, vor einem Vierteljahrhundert als Alternative zum offiziellen Sitzungskarneval gegründet und Vorbild für viele andere Städte, ist längst ein gut geölter Teil der Unterhaltungsindustrie geworden, zu dem Publikum aus ganz Deutschland anreist.

Denn das Team bietet wieder eine perfekte, abwechslungsreiche Show mit einer stimmigen Mischung aus Akrobatik, musikalischer Parodie und poetischen Momenten, aber auch geschliffenen Wortwitz, derbe Kalauer und politische Satire. Letztere kommt in diesem Jahr mit eher leisen Tönen daher, selbst bei der Mafiakomödie über den Kölner Klüngel sind die Krallen nur halb ausgefahren. Ein politischer Höhepunkt nur am Anfang: Die Filmfirma, die Terroristen beim Inszenieren der Bekennervideos hilft und diese mit (Schleich-)Werbung voll packt.

JÜRGEN SCHÖN

www.stunksitzung.de