„Mehr Mut beweisen“

DISKUSSION Über den Zusammenhang von sozialer Herkunft, Chancengleichheit und Pressefreiheit

■ 63, ist seit 35 Jahren Redakteur bei Radio Bremen – nach einem Studium und Zeitungsvolontariat.

taz: Herr Schlüter, kommen Sie aus einem Arbeiterhaushalt?

Theo Schlüter: Mein Vater hatte ein kleines Geschäft. Deswegen wohl eher Kleinbürgertum.

Wieso diskutieren Sie am Tag der Pressefreiheit über soziale Herkunft?

Unser Gast, Marco Maurer, hat in seinem Dossier „Ich Arbeiterkind“ in der Zeit gezeigt, dass kaum Journalisten aus dem Milieu der Arbeiterschaft kommen. Wir wollten diskutieren, wie die Wahrnehmung von Wirklichkeit durch die Journalisten von der sozialen Herkunft abhängt.

Wie stark hat Sie Ihre Herkunft als Redakteur geprägt?

Das einzuschätzen, fällt mir schwer. Marco Maurer, der die Debatte angestoßen hat, kümmert sich sehr um soziale Fragen und Benachteiligung.

Wie hilfreich war es für Sie, im roten Bremen in der SPD zu sein?

Ich komme aus Paderborn. Als in Nordrhein-Westfalen noch die CDU regierte, gab es keine Lehrmittelfreiheit, sondern man musste fürs Gymnasium Schulgeld bezahlen. Ich war drittes Kind, und mein Vater konnte das nicht mehr aufbringen. Dann kam der Regierungswechsel und die SPD schaffte das Schulgeld ab. Eine solche Erfahrung prägt. Ich bin aber überzeugt, dass man auch als Parteimitglied journalistisch unabhängig sein kann.

Wie schwierig ist das in einer Stadt, in der sich alle kennen?

Es ist leichter, den amerikanischen Präsidenten zu kritisieren als den lokalen Bürgermeister. Lokalredakteure müssen wesentlich mehr Mut beweisen, wenn sie Leuten auf die Füße treten.

Was können Redaktionen für Chancengleichheit tun?

Der ehemalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen hat kein Abitur. In einem Interview sagte er mir mal, er würde heute beim WDR ohne Hochschulabschluss wohl kein Volontariat mehr bekommen. Ob das angesichts der verfassungsrechtlich gesicherten Meinungsfreiheit überhaupt sein darf, ist unter Juristen mindestens umstritten. Zu dem Komplex ist Justiz-Staatsrat Matthias Stauch geladen. Die Frage ist, ob der Zugang zum Journalismus an einem formalen Abschluss hängen darf.

Und, was meinen Sie?

Eine ordentliche Ausbildung ist auf jeden Fall wichtig. Manchmal wäre ich schon zufrieden, wenn Journalisten – ob mit Hochschulabschluss oder ohne – Rechtschreibung und Grammatik beherrschten.  INTERVIEW: JPB

18 Uhr, Bremer Presse-Club, Schnoor 27–28